Die Nord Stream Ostsee-Pipeline ist ein System von Gasleitungen, die von Russland nach Deutschland verlaufen. Die ersten beiden Stränge (Nord Stream 1 genannt) wurden bereits im November 2011 eingeweiht und verlaufen von Wyborg nach Lubmin bei Greifswald. Nord Stream 2 sind zwei weitere Rohrsysteme, die sich zur Zeit im Bau befinden. Dieses Bauprojekt ist hoch umstritten und wir möchten mit dieser Faktenzusammenstellung eine Möglichkeit zur sachlichen Auseinandersetzung bieten, die wichtigsten Fragen beantworten und deutlich machen, warum wir uns so konsequent für ein Ende des Bauprojektes aussprechen.

  1. Die Gasversorgung in Europa ist sicher.
  2. Die Pipeline ist keine "Brückentechnologie". Sie hat null wirtschaftlichen Nutzen für Deutschland.
  3. Die Verbraucherpreise für Gas werden hoch bleiben.
  4. Erdgas ist...? Ein Klimakiller!
  5. Nordamerikanisches Fracking-Gas wird weiter nach Europa transportiert.
  6. Europa lehnt Nord Stream 2 ab.
  7. Die Klimastiftung MV ist abhängig von Gazprom.
  8. Am Bau beteiligte Firmen müssen weiter mit Sanktionen rechnen.
  9. Nord Stream 2 ist kein "Job-Motor" für MV!
  10. Wir Grünen widersprechen den angedrohten US-Sanktionen deutlich!

Sowohl die beiden Nord Stream 1-Stränge zusammengenommen als auch die beiden Nord-Stream-2-Rohre haben, nach Angaben von Gazprom, jeweils eine nominelle Transportkapazität von 55 Mrd. m³ pro Jahr. Dies entspricht etwa 63 GW Heizwert. (siehe: Gazprom)

Die "International Energy Agency" prognostiziert allerdings schon für dieses Jahrzehnt einen deutlich geringeren Verbrauch von Erdgas. (siehe: IEA) Damit bestätigt sie die Ergebnisse einer Studie des "Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung", aus dem Jahre 2018 (siehe: DIW) und dem Jahre 2021 (siehe: DIW).

Claudia Kemfert (Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung [DIW] sowie Professorin an der Leuphana Universität Lüneburg) fasst dies sehr gut in ihrem Phoenix Interview vom 07.09.2020 zusammen. (siehe: Interview mit Claudia Kemfert)

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Im Pariser Klimaabkommen hat sich die CDU-SPD-Bundesregierung dazu verpflichtet, dabei mitzuwirken, die Klimaerwärmung bis 2050 auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken. (siehe: Deutscher Bundestag) Um dieses Ziel zu erreichen, ist der Ausstieg aus der Produktion von Kohlestrom zeitnah notwendig. Und in der Tat, wird dafür noch einige Jahre die Stromproduktion mittels Erdgas notwendig sein, obwohl Erdgas bei weitem nicht so „umweltfreundlich“ ist, wie die entsprechende Lobby behauptet.

Deswegen wird Erdgas auch immer wieder als "Übergangstechnologie" oder "Brückentechnologie" bezeichnet. Allerdings hat die Bundestagsabgeordnete Claudia Müller wiederholt öffentlich darauf hingewiesen, dass sich die Investitionen in den Bau von Nord Stream 2 erst in 50 Jahren rechnen werden. Das würde etwa 2070 bedeuten. Viel zu spät, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. Ein fossiles Infrastrukturprojekt, das sich erst in 50 Jahren rechnet, ist schlicht keine Übergangstechnologie. Umgekehrt gilt aber auch: "Wenn wir tatsächlich das Pariser Klimaabkommen einhalten wollen, ist diese Pipeline ein sunk invest", so Müller. (siehe: Claudia Müller)

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Oft wird argumentiert, dass die Preise für die Verbraucher sinken würden, wenn mehr Erdgas nach Westeuropa geliefert wird. Für deutsche Verbraucher ist es wichtig zu wissen, dass die vorgesehene Liefermenge von Nord Stream 2 ganz überwiegend nicht für den deutschen Markt vorgesehen ist. Der ansonsten zu erwartende Preisnachlass ist tatsächlich aber so gering, dass er sich im Bereich weniger Prozentpunkte auf dem Großhandelsmarkt und somit unterhalb der Nachweisgrenze für die meisten Verbrauchsbereiche bewegt. Der Verbraucherpreis auf dem europäischen Markt wird zunehmend durch den Flüssiggas-Preis bestimmt, welches vornehmlich aus dem Mittleren Osten, Afrika und den USA geliefert wird. Auch die russischen Anbieter, wie z.B. Gazprom, richten ihre Preise danach aus. (siehe: Zeit Online)

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Ob Erdgas wirklich eine bessere Klimabilanz hat als die Energiegewinnung aus Kohle, ist mehr als fraglich. Denn bei der Gewinnung und dem Transport kommt es immer wieder zur Freisetzung von Methan. Das "GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel" hat im Sommer 2020 eine Studie veröffentlicht, die darauf hinweist, dass rund um Erdöl- und Erdgas-Bohrlöcher erhebliche Mengen des Treibhausgases Methan unkontrolliert austreten (siehe: Zusammenfassung des IDW oder Studie). Zudem hat die Deutsche Umwelthilfe (DUH) einen zusätzlichen CO2-Ausstoß von jährlich 100 Millionen Tonnen prognostiziert (siehe: DUH). Die aktuelle Studie der „Scientists for Future Deutschland“, die im Februar 2020 veröffentlicht wurde, arbeitet heraus, dass sich der geplante Ausbau von Erdgas-Infrastruktur nicht klimapolitisch begründen lässt und sogar die geplante Energiewende noch verzögert (siehe Zusammenfassung der Studie).

Um den erhofften Bedarf für die neue Erdgas-Pipeline zu decken, sind sogar neue Gasfelder in der Arktis angebohrt worden (siehe: Energate-Messenger).

 

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Immer wieder wird in der Öffentlichkeit von Nord Stream-Befürworter*innen der Mythos befeuert, klimaschädliches Frackinggas aus den USA würde nicht nach Europa verkauft werden, wenn Erdgas aus Russland bezogen werden würde. Das ist nicht nur falsch, sogar das Gegenteil ist der Fall. Nord Stream 2 wird vor allem durch die SPD vorangetrieben. Um US-Sanktionen gegen den Bau von Nord Stream 2 zu verhindern, hat der SPD-Bundesfinanzminister am 7. August 2020 dem damaligen US-Außenminister angeboten, eine Milliarde Euro deutsches Steuergeld als Förderung zu investieren, um Flüssigerdgas-Terminals an der norddeutschen Küste zu errichten, damit US-Frackinggas nach Deutschland importiert werden kann. Das geheime Kommuniqué ist mittlerweile veröffentlicht worden (siehe DUH).

Um einen internationalen Konflikt zu verhindern, sollen also zusätzliche Gelder in klimaschädliche Energiegewinnung, anstatt in den Ausbau erneuerbarer Energien gesteckt werden.

Wir Bündnisgrüne lehnen im Übrigen jegliche Form von Frackinggas ab, egal ob es aus Russland, den USA oder aus anderen Ländern kommt. (siehe: Beschluss der Landesdelegiertenkonferenz)

 

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Auch wenn andere europäische Firmen am Bau der Pipeline beteiligt sind, ist Nord Stream primär ein deutsch-russisches Projekt und musste gegen den Willen zahlreicher EU-Mitgliedsstaaten durchgesetzt werden. (siehe: Tagesspiegel) Die drei wichtigsten Institutionen der EU, die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Europäische Rat, haben das Projekt von Anfang sehr kritisch gesehen. (siehe: Tagesspiegel) Die Kritik der EU-Partnerländer speist sich dabei weniger aus klimaschutzpolitischen, als vielmehr aus sicherheitspolitischen Aspekten. Das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine, aber auch zwischen Russland, Polen und den baltischen Staaten ist sehr angespannt. Es wird befürchtet, dass Russland - nach Fertigstellung der Nord Stream 2-Pipeline - diese dazu benutzen wird, die Ukraine von der Erdgasversorgung abzuschneiden, um politischen Druck aufzubauen. (siehe: FAZ oder DW oder SPIEGEL)

Dieses Problem wurde bereits 2017 vom Europäischen Parlament erkannt. (siehe: Europäisches Parlament)

Erst im Herbst 2020 haben 56 Europaabgeordnete aus 13 verschiedenen Ländern und 5 unterschiedlichen Fraktionen einen gemeinsamen Aufruf unterschrieben, den Bau von Nord Stream 2 zu stoppen. (siehe: Reinhard Bütikofer)

Darüber hinaus hat auch die Europäische Kommission seit jeher kritisiert, dass Nord Stream 2 den Zielen der Energieunion zuwiderläuft, neue Versorgungsquellen, Routen und Anbieter zu erschließen. (siehe: Europäische Kommission )

Zudem ist völlig unklar, wie die Nord Stream AG gültiges EU-Recht, dass sich der Betreiber einer Pipeline und der Eigentümer des Gases unterscheiden muss (unbundling), umsetzen will. Nach der Dritten EU-Gasrichtlinie ist es untersagt, dass Lieferanten und Pipelinebetreiber - wie im Falle von Gasprom und Nord Stream 2 - identisch sind. (FAZ)

Des Weiteren müsste nach europäischem Energierecht nachgewiesen werden, dass die Pipeline die Energiesicherheit europäischer Länder nicht negativ beeinflusst. Die Europäische Kommission hat bereits in der Vergangenheit bestritten, dass dies insgesamt der Fall sei.

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Die Klimastiftung des Landes wird zwar mit 200.000 Euro Landesmitteln gefördert, aber der mit Abstand größte Beitrag zu den Finanzmitteln (60 Mio. Euro) kommt direkt vom russischen Gazprom-Konzern, der die Nord Stream-Pipelines betreibt. Zudem sieht die Stiftungssatzung vor, dass der Stiftungsvorstand die sachverständige Geschäftsführer*in nur anstellen darf, wenn diese durch die Nord Stream 2 AG vorgeschlagen wurde. Und auch bei den Geschäftsgrundsätzen der Stiftung muss sich der Vorstand mit der Nord Stream 2 AG "ins Benehmen" setzen (siehe: Claudia Müller).

Nicht nur „Transparency International“ kritisiert diese enge Verflechtung (siehe Pressemitteilung). Auch der Landesrechnungshof, also die obersten Finanzprüfer des Landes MV, sehen hohe finanzielle Risiken für das Land, weil zwar landeseigene Steuergelder in die Stiftung investiert wurden, aber das Land ohne Einfluss bleibt, was die Nutzung der Gelder angeht. Das Unternehmen tatsächlich durch die Stiftung vor US-Sanktionen geschützt werden, hält der Landesrechnungshof zudem für eher unwahrscheinlich (siehe NDR).

Die Gründung der Stiftung durch die Landesregierung führt vor Augen, was ohnehin vielen klar war, von der Landes- sowie der Bundesregierung jedoch lange geleugnet wurde: Das Pipelineprojekt Nord Stream 2 ist auch ein politisches Projekt und kein rein wirtschaftliches.

 

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Die Firmen vor den angedrohten US-Sanktionen zu schützen ist die Hoffnung, mit der die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns und der Schweriner Landtag die Gründung dieser Stiftung beschlossen haben. Ob eine Stiftung, die gemeinnützig oder gemeinwohlorientiert sein soll, dieses wirklich leisten können wird, ist höchst fraglich. So könnte es sein, dass die Unternehmen, die Baustoffe an die Stiftung liefern, ebenfalls von den Vereinigten Staaten sanktioniert werden. (siehe: Finanztreff.de ) Die Rechtsanwältin Cornelia Ziehm hat die juristische Problematik wie folgt zusammengefasst: „Die geplante Stiftungsgründung bedeutet, dass sich das Land Mecklenburg-Vorpommern mit öffentlichen Landesmitteln schützend vor die Nord Stream 2 AG stellt und damit ein bestimmtes einzelnes Privatunternehmen begünstigt. Ohne die Stiftung wäre der Nord Stream 2 AG die Fertigstellung ihrer Pipeline gegenwärtig nicht möglich. Dafür aber ist das Stiftungsrecht offensichtlich nicht vorgesehen – zumal die nun angegebenen Umwelt- und Naturschutzzwecke tatsächlich in weitem Umfang bereits Aufgabe einer schon existierenden Stiftung des Landes sind. Zudem kann ein Eingriff in den Wettbewerb keineswegs von vorneherein ausgeschlossen werden – mit der Folge der Notwendigkeit eines beihilferechtlichen Notifizierungsverfahrens bei der EU-Kommission.“ (siehe: DUH)

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Immer wieder wird behauptet, dass Nord Stream 2 Arbeitsplätze in einer der wirtschaftsschwächsten Regionen Deutschlands schaffen würde. Allerdings sind bis heute keine Zahlen veröffentlicht worden, mit wie vielen zusätzlichen Arbeitsplätzen zu rechnen sei. Nach allem, was bisher verlautete, könnte es im Idealfall vielleicht einige Dutzend Arbeitsplätze geben. Gegenüber dem Arbeitsplatzgewinn von erneuerbaren Energien wäre das eine außerordentlich kleiner Effekt und keiner, der die Nachteile ausgleicht.

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Auf die Kritik von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN am Nord Stream 2-Projekt und der damit verbunden Gründung einer Klimastiftung wird immer wieder mit dem Vorwurf gekontert, GRÜNE würden einseitig Partei für die USA ergreifen und zu den Sanktionsdrohungen von Seiten der USA schweigen. Das ist falsch. Wir verweisen, stellvertretend für zahlreiche Äußerungen vieler grüner Politiker*innen im Bund und Land auf Annalena Baerbock (MdB) und Reinhard Bütikofer (MdEP), die erklärten, dass es "unbestreitbar richtig" sei, dass "der Landtag die aggressiven Drohungen von drei amerikanischen Senatoren gegen Sassnitz und den Hafen Mukran zurückwies." (siehe: FAZ)

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Podiumsdiskussion "Nordstream 2: Ist das gut oder kann das weg?" (Mitschnitt)

Hier geht's zur Aufzeichnung unserer Podiumsdiskussion "Nordstream 2: Ist das gut oder kann das weg?" vom 05.10.2020.

Brauchen wir das zusätzliche Gas aus Russland? Um die Energiewende zu meistern? Um die heimische Wirtschaft zu stärken? Unter welchen Umständen könnte die Fertigstellung überhaupt noch abgesagt werden? Wie sollte sich Mecklenburg-Vorpommern im geopolitischen Streit zwischen Russland auf der einen und die USA auf der anderen Seite verhalten? Kurz gesagt: Nord Stream 2 – ist das gut für MV oder kann das weg?
Über diese und andere Fragen wurde während der Podiumsdiskussion mit vier Expertinnen und Experten debattiert – sachorientiert und unabhängig von parteipolitischen Zwängen.

Mit:

  • Viola von Cramon-Taubadel (Mitglied des Europäischen Parlaments, ehemalige Abgeordnete des Deutschen Bundestages für Bündnis 90/Die Grünen),
  • Prof. Dr. Christian von Hirschhausen (Forschungsdirektor Energie, Verkehr, Umwelt beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und der Technischen Universität Berlin) und
  • Frank Kracht (Bürgermeister Sassnitz/Rügen).


Moderiert wurde die Paneldiskussion von Marie Heidenreich und Steffen Dobbert, Sprecher*innen der LAG Energie und Klima sowie Frieden, EU, Internationales.