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Über 55.000 Schweine sind in Alt Tellin beim Brand der Schweinezuchtanlage am 30. März 2021 elendig umgekommen. Dies zeigt den völlig unzureichenden Brandschutz dieser Megastallanlage Muttersauen, Jungsauen und Ferkel. Das katastrophale Ereignis ist der traurige Höhepunkt einer fatalen, Jahrzehnte währenden Entwicklung der Nutztierhaltung. Immer wieder gibt es Brände mit verheerenden Folgen in Tierhaltungsanlagen.
So etwas darf sich nicht wiederholen.
Deshalb fordern wir seit Jahren ein Ende der industriellen Tierhaltung, die derartige Großanlagen hervorbringt. Der Brand in Alt Tellin war eine Katastrophe mit Ansage.
Das Problem des ungenügenden Brandschutzes ist im System der Massentierhaltung nicht lösbar. Industrielle Mastanlagen mit großen Tierzahlen können gerade Schweine, die keine Fluchttiere sind, nicht ausreichend vor Feuer schützen und keine Rettung gewährleisten. Die Größe und Ausgestaltung solcher Großanlagen verhindert sowohl den Zugang für die Feuerwehren, als auch die Rettung der Tiere. Das Fixieren der Schweine in Kastenständen, die verbauten leicht brennbaren Kunststoffe und die unzureichenden oder fehlenden Brandschutzsysteme machten eine Rettung fast unmöglich. Die Brandschutzkonzepte, die von den Genehmigungsbehörden beim Bau von Ställen akzeptiert werden, setzen die Vorgaben der Landesbauordnungen nicht wirklich um, wonach die Bauten so zu gestalten sind, dass Menschen und Tiere gerettet werden können. Auch im Falle Alt Tellin hatten Bürgerinitiativen und Verbände die Behörden auf diese Defizite mehrfach hingewiesen.
Die Landesregierung muss nun für die Katastrophe Verantwortung übernehmen und Konsequenzen ziehen.
Die Tierhaltung muss so sicher gemacht werden, dass solche Katastrophen in Zukunft ausgeschlossen sind. Notwendig ist eine Landwirtschaftspolitik, die es den Landwirtinnen und Landwirten ermöglicht, die Nutztiere tiergemäß und sicher zu halten und gleichzeitig ein auskömmliches Einkommen zu erzielen. Oberstes Ziel ist der Schutz des Lebens von Menschen und Tieren.
Auf dem übersättigten Niedrigpreis-Fleischmarkt geht es zum Teil um Cent-Beträge und die Haltungsverfahren sind entsprechend ausgerichtet worden. Trotz intensiver Haltungsbedingungen und maximaler Ausnutzung der Tierleistungen können Landwirtinnen und Landwirte die laufenden Kosten ihres Betriebes oft nicht mehr decken.
Das System „immer mehr, immer billiger“ geht zu Lasten von Mensch, Tier und Umwelt und ist gescheitert.
Wir müssen jetzt handeln und die gesetzlichen Weichen für den Ausstieg aus der industriellen Tierhaltung stellen. Für eine artgemäße, sichere Tierhaltung in handhabbaren kleinen Beständen braucht es neue gesetzliche Regeln!
Es braucht eben keine reine Flächenbindung solcher Großanlagen, wie sie Minister Backhaus kürzlich forderte, sondern als zentrale Punkte eine deutliche Reduzierung der Tierbestände pro Anlage und eine tiergemäße Gestaltung der Tierhaltungsanlagen. Nur so lassen sich Tierwohl und Umweltschutz realisieren.
Wir fordern den Entzug der Betriebsgenehmigung für die Schweinezuchtanlage Alt Tellin. Die Landesregierung hat bereits 2015 klargestellt, dass bei konkreten Gefahren für das Leben, die Gesundheit oder erhebliche Sachwerte, die Genehmigung entzogen werden muss.*
Es muss ein zügiger Rückbau der abgebrannten Anlage, eine Dekontamination des Geländes und eine sichere Entsorgung des Sondermülls erfolgen. Es sollten auch Bodenproben zur Feststellung eventuell durch den Brand belasteter, umliegender landwirtschaftlicher Flächen geben. Eventuelle ökologische, materielle und gesundheitliche Schäden durch den Brand im Umkreis müssen geklärt werden.
Ein Wiederaufbau als industrielle Tierhaltungsanlage darf nicht genehmigt werden. Auch die im Mai 2012 beantragte und noch nicht entschiedene Erweiterung der Kapazitäten der Anlage muss abgelehnt werden.
Wir fordern Transparenz bei der konsequenten Aufklärung der Brandursache und der den Brand und dessen Ausbreitung begünstigenden Faktoren in der Schweinezuchtanlage Alt Tellin. Insbesondere die brandbeschleunigenden Einflüsse des Ventilationssystems, des Güllekanalsystems und die verwendeten entflammbaren Materialien für Boden, Wände, Decken, Verkleidungen sowie die Art der Aufstallung ohne Auslauf sollten dabei untersucht werden. Der Einfluss eventuell fehlender Schutzvorkehrungen bei der PV-Anlage (z.B. Brandfallabschaltung) auf den Brand und dessen Bekämpfung sollte geklärt werden. Das Brandschutzkonzept für die Anlage sollte veröffentlicht werden, ebenso die Ergebnisse und Zeiträume der Brandschutzkontrollen. Zudem müssen generell Schlussfolgerungen aus der Nichtwirksamkeit des Brandschutzes für industrielle Tierhaltungsanlagen gezogen werden.
Auch sollte geklärt werden, ob der Brand rechtzeitig gemeldet wurde und ob Verletzungen von Vorsorgepflichten des Betreibers in Bezug auf Brand- und Tierschutz vorliegen. Auch mit Blick auf weitere Brände in Anlagen des Betreibers (bzw. Vorgängerbetreibers) an anderen Orten, z.B. in Binde (Sachsen-Anhalt) oder in Erichem (Niederlande) erscheint dies geboten. Mängel bei der Qualität der technischen Anlagen und Brandschutzmängel der Schweinebetriebe des Betreibers müssen ermittelt werden. Zudem ist die komplette Offenlegung der Eigentümer-Verhältnisse der Schweinezuchtanlage Alt Tellin zur Klärung der Verantwortlichkeiten nötig.**
Wir fordern eine Klärung, warum die Klage von BUND und Tierschutzbund von 2012 gegen die Genehmigung der Schweinezuchtanlage Alt Tellin (u.a. aus Gründen des unzureichenden Brandschutzes) noch immer nicht entschieden und seit dem ersten Verhandlungstag am 15.03.2017 bis heute nicht fortgeführt wurde. Das Land sollte seine Erkenntnisse zum Prozessverlauf offenlegen. Eventuelle Versäumnisse müssen ermittelt werden. Der BUND hatte mit detaillierten Gutachten seit Jahren unbeherrschbare Brandgefahren in der größten Sauenanlage Deutschlands angemahnt. Es ist zu klären, warum es Behörden offenbar versäumt haben, den Brandschutz der Anlage angemessen zu begutachten. Genehmigungsbehörden und der Gutachter der Betreiberin haben während des juristischen Verfahrens immer wieder erklärt, dass die Anlage absolut sicher sei, was nun auf schreckliche Weise widerlegt wurde.
Der Prozess sollte zur Klärung der offenen Fragen fortgeführt und entschieden werden.
Außerdem ermittelt die Neubrandenburger Staatsanwaltschaft in Alt Tellin noch immer wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz. Im vergangenen Sommer waren in Alt Tellin nach dem Ausfall einer Lüftungsanlage mehr als 1.000 Ferkel verendet. Auch hier ist eine Klärung weiterhin dringend nötig.
Wir fordern eine Neuregelung der Brandschutzvorschriften für Tierhaltungsanlagen, u.a. über die Landesbauordnung. Der Brandschutz schreibt zwar bereits vor, dass Anlagen nur errichtet und betrieben werden dürfen, wenn die Tiere im Brandfall gerettet werden können (siehe Landesbauordnung MV, § 14 Brandschutz***), doch nur selten können die Tiere bei Bränden vollständig evakuiert werden. Die Brandschutzvorgaben für industrielle Tierhaltungsanlagen sind vollkommen unzureichend. Es fehlen klare Vorgaben für konkrete Maßnahmen.
Wenn unzureichende Brandschutzbestimmungen Feuer begünstigen, besteht zudem ein Konflikt zum Tierschutz gemäß Artikel 20 a GG.
Vorschriften für Bauten und Baumaterialien müssen so ausgeführt werden, dass im Brandfall Menschen und auch Tiere wirklich gerettet und ein Übergreifen der Feuer auf andere Stallabschnitte und Nebengebäude verhindert werden können. Nötig sind:
- ausreichende Feuerwehrzufahrten
- Löschwasserreservoirs
- automatische Brandmeldeanlagen mit direkter Rufweiterleitung an die Feuerwehr-Leitstelle
- Sprinkleranlagen
- Feuerwiderstandsklasse von tragenden und aussteifenden Bauteilen mit Untergliederung von mindestens F30 und bei Trennwänden zu Technikräumen u.ä. F 90
- räumlicher Abstand der Ställe
- automatische Rauchabzugsanlagen
- ausreichend viele automatisch aufschlagende Fluchttüren
- ein Rettungspferch für gerettete Tiere
Entsprechende Vorgaben gibt es bereits in der Region Hannover****.
Für alle industriellen Tierhaltungsanlagen, d.h. genehmigungsbedürftigen Anlagen gemäß 4. BImSchV, Anlage 1., soll eine Prüfung und Überarbeitung der Brandschutzkonzepte sowie eine entsprechende Korrektur der Betriebsgenehmigungen mit Brandschutzauflagen erfolgen, um den Brandschutz kurzfristig zu erhöhen.
Insbesondere der Brandschutz der anderen Tierhaltungsanlagen des Betreibers der Tierzuchtanlage Alt Tellin in Medow und Fahrbinde muss genau überprüft werden.
Wir fordern zudem von der Landesregierung offenzulegen, was sie in Reaktion auf die Initiativen anderer Bundesländer und des Bundes zum Thema Brandschutz in Tierhaltungsanlagen unternommen hat. So drängte Sachsen-Anhalt in der Agrarministerkonferenz 2018 den Bund „rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um Tierverluste in Nutztierhaltungen im Falle technischer Störungen oder im Brandfall zu vermeiden“. Die Bundesregierung forderte widerum die Länder auf, die Landesbauordnungen zu überprüfen und Änderungsbedarf für die Tierschutz-Nutztierverordnung anzuzeigen*****. Dementsprechende Aktivitäten sind seitens der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern bisher nicht bekannt.
Wir fordern ein Moratorium für die Zulassung von in Planung bzw. im Zulassungsverfahren befindlichen industriellen Tierhaltungsanlagen (d.h. immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Anlagen) in Mecklenburg-Vorpommern, bis es tier- und umweltschutzgerechte sowie brandschutzkonforme gesetzliche Vorgaben für die Errichtung von Tierhaltungsanlagen gibt. Der tragische Brand in Alt Tellin zeigt, dass Megastallanlagen unbeherrschbar sind.
Wir fordern, dass Unternehmen des Landes bzw. Unternehmen mit Landesbeteiligung, wie die Landgesellschaft M-V mbH, ein zukünftiges Engagement als planende Institutionen für industrielle Tierhaltungsanlagen ausschließen. Als Gesellschafter mit der Mehrheit der Unternehmensanteile sollte das Land die Einführung entsprechender Beschlüsse bzw. verbindlicher Unternehmensleitlinien in der Landgesellschaft durchsetzen und kontrollieren.
Zudem soll sich das Land verbindliche, nachhaltige Leitlinien für die Förderung der Veredlungswirtschaft und die Unterstützung von Investoren geben, welche die Förderung industrieller Tierhaltungsanlagen ausschließen. Dies betrifft insbesondere das Agrarinvestitionsförderprogramm (AFP). Auf dessen Grundlage werden in Tierhaltungsanlagen zwar Verbesserungen im Tierschutz gefördert. Grundsätzlich sind die Bedingungen für eine Förderung aus dem AFP aber noch viel zu wenig an Tierschutz- und Umweltkriterien gebunden. Immer noch können so große Tierhaltungsanlagen gefördert werden, die hinsichtlich Tierschutz und Umweltverträglichkeit große Defizite aufweisen.
Das Land sollte ebenfalls seine Verpachtungskriterien überarbeiten. Es muss ausgeschlossen werden, dass gewerbliche Tierhalter oder andere industrielle Tierhaltungsanlagen Landesflächen zur Pacht erhalten.
Wir fordern, dass Kontrollen bei industriellen Tierhaltungsanlagen wesentlich häufiger erfolgen als bisher. Brandschutzkontrollen nur alle 5 Jahre sind nicht ausreichend.
Risikobetriebe und bereits auffällig gewordene Betriebe müssen häufig und ohne Vorankündigung kontrolliert werden, um Missstände aufzudecken. Nötig sind Mindestkontrollfrequenzen. Bei Kontrollen ist sicherzustellen, dass bei den Kontrollen sowohl das Vieraugen- als auch das Rotationsprinzip angewendet werden. Gerade Betriebe, wie die Schweinezucht in Alt Tellin, in denen häufig gegen Tierschutz-Bestimmungen und Genehmigungsauflagen verstoßen wird, darf das Land nicht gewähren lassen. Wird, ähnlich wie in der Anlage in Alt Tellin erfolgt, trotz Straf- und Zwangsgeldern immer wieder gegen Vorschriften bzw. Auflagen verstoßen, muss die Betriebsgenehmigung widerrufen werden.
Wir fordern ein Tierschutz-Klagerecht für anerkannte Verbände und eine*n unabhängige*n Tierschutzbeauftragte*n in der Landesregierung, damit Verstöße gegen das Tierschutzgesetz nicht mehr ohne Folgen bleiben und Tierschutz geltend gemacht werden kann.
*Quelle: Die Aussage „Gehen von der Anlage konkrete Gefahren für das Leben, die Gesundheit oder erhebliche Sachwerte aus, ist das Behördenermessen derart reduziert, dass die Genehmigungsbehörde (zuständiges Staatliches Amt für Landwirtschaft und Umwelt) die Genehmigung widerrufen muss." stammt aus den Antworten auf eine Kleine Anfrage der grünen Landtagsfraktion zum Thema "Rechtsverletzungen der Straathof Holding GmbH" - der damaligen Betreiberin der Anlage in Alt Tellin. Es findet sich in der Antwort auf Frage 5 und wurde im Zusammenhang mit den Rechtsverletzungen in der Anlage zum Thema Tierschutz gegeben.
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**Quelle: Nachdem gegen Straathof ein deutschlandweites Tierhaltungsverbot ausgesprochen worden war, verwaltete das Bankenkonsortium LFD Holding die Alt Telliner Anlage und die weiteren Anlagen Straathofs in Deutschland treuhänderisch. Im Frühjahr 2020 wurde ein Verkauf an die schweizerische Terra Grundwerte Aktiengesellschaft angekündigt [1]. Stand April 2021 war die Anlage Alt Tellin allerdings weiter eine Betriebsstätte der LFD Holding [2].
[1] Frühere Straathof-Mastbetriebe verkauft. ndr.de vom 29. April 2020.
[2] Erklärung der LFD Holding zu Brand in der Betriebsstätte Alt Tellin. lfd-holding.com vom 9. April 2021.
***Quelle: Landesbauordnung M-V, §14 Brandschutz „Bauliche Anlagen sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und in Stand zu halten, dass der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und Rauch (Brandausbreitung) vorgebeugt wird und bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind.“
****Quelle: Region Hannover; Der Regionspräsident, Dezernat für Umwelt, Planung und Bauen - Neuer Regelstandard der Region Hannover für den Brandschutz bei großen Tierhal-tungsanlagen
*****Quelle: Siehe Brandereignisse in Tierhaltungsbetrieben vom Deutschen Bundestag
„4. Änderungsbedarf bestehender Regelungen
Im April 2018 forderte die Landwirtschaftsministerin Sachsen-Anhalts in der Agrarministerkonferenz (AMK) den Bund auf, rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um Tierverluste in Nutztierhaltungen im Falle technischer Störungen oder im Brandfall zu vermeiden. Daraufhin forderte wiederum der Bund die Länder auf, Vorschläge und Konkretisierungen für entsprechende Regelungen vorzulegen. In einem im Juni 2020 veröffentlichten Interview äußerte die Staatssekretärin des BMEL, die Länder sollten ihre Landesbauordnungen überprüfen und dem Bund mitteilen, welche Punkte sie übergeordnet, bundeseinheitlich in die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung eingefügt sehen wollen. Einzelne Vorschläge sind bereits veröffentlicht. Derzeit wird dort auch die bestehende Übersicht „Betriebliche Schadenereignisse mit Betroffenheit von Tieren in Sachsen-Anhalt“ aktualisiert.“
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