BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mecklenburg-Vorpommern

Herzkatheter sind keine Stützstrümpfe

Die Anforderungen an Sicherheit, Wirksamkeit und Nutzen von Medizinprodukten müssen erhöht werden. In einem Antrag machen wir konkrete Vorschläge.

22.03.12 –

Der Skandal um die mangelhaften Brustimplantate der französischen Firma PIP hat deutlich gemacht, dass das Überwachungssystem für Medizinprodukte vermutlich in ganz Europa nicht so funktioniert, wie es die Patientinnen und Patienten erwarten dürfen. Mit schärferer Überwachung und Kontrolle allein, wie es sich offenbar Bundesregierung und Medizinproduktehersteller gemeinsam auf die Fahne geschrieben haben, kommen wir hier jedoch nicht weiter. Es darf nicht länger sein, dass hochinvasive Herzkatheter genauso behandelt werden wie Kondome oder gar Stützstrümpfe.

Medizinprodukte, gleich ob es sich um Herzkatheter oder Stützstrümpfe handelt, benötigen derzeit für die Marktzulassung lediglich eine CE-Kennzeichnung. Um diese zu erhalten, müssen die Hersteller lediglich nachweisen, dass Infektionsrisiken ausgeschlossen sind, die physikalische Sicherheit gewährleistet ist, die Gebrauchsanweisungen vollständig und verständlich und die zugesagten Produkteigenschaften efüllt werden. Anders als bei Arzneimitteln gibt es auch kein staatliches Zulassungsverfahren. So genannte Benannte Stellen wie der TÜV prüfen die eingereichten Unterlagen der Hersteller, häufig ohne das Produkt je zu Gesicht bekommen zu haben.

Mangelnde Qualität und mangelnder Nutzen mancher Medizinprodukte

Aber nicht nur der Skandal um die PIP-Implantate verdeutlich den Handlungsdruck. Immer wieder kommen Prothesen ins Gerede, weil die Qualität nicht stimmt oder weil sie keinen therapeutischen Nutzen haben. Kürzlich war im Fachjournal "Lancet" ein Artikel über metallene Hüftimplantate zu lesen. Die Forscher haben in einer mehrjährigen Studie unter Einbeziehung von fast 400.000 Hüftoperationen herausgefunden, dass es bei der Verwendung dieser Prothesen vermehrt zu erheblichen Komplikationen bei den betroffenen Patientinnen und Patienten gekommen ist. Berichtet werden Zerstörungen des Knochens, Schädigungen des umliegenden Gewebes und das Versagen des Implantates. Gleichzeitig zeigten die wenigen überhaupt vorhandenen Studien, dass diese Hüftendoprothesen überhaupt keinen Vorteil gegenüber herkömmlichen Produkten haben. 

Ohnehin müssen Hüft-, aber auch Endoprothesen häufig vorzeitig wieder entfernt werden. Neuere Untersuchungen auf der Grundlage von Daten der gesetzlichen Krankenkassen zeigen, dass 3,45 Prozent aller Hüftendoprothesen innerhalb von zwei Jahren nach der Implantation ausgetauscht werden mussten. Ursächlich waren in fast 70 Prozent der Fälle mechanische Komplikationen.  Unter den 390.000 im Jahr 2010 eingebauten Hüft- oder Knieendoprothesen waren immerhin 37.000 Wechseloperationen.

Das Zulassungssystem für Medizinprodukte muss reformiert werden

Natürlich ist es richtig, die Marktüberwachung und die Kontrollen zu verbessern und den Benannten Stellen zum Beispiel die Möglichkeit zu geben, unangemeldet bei den Herstellern von Implantaten Prüfungen durchzuführen. Auf diese Weise lassen sich Schlampereien oder kriminelles Treiben wirksamer verhindern. Die Probleme bei den Medizinprodukten sind aber nur zu einem Teil mangelnder Kontrolle geschuldet. Das ganze System von Überwachung und Zulassung von Medizinprodukten und speziell von Implantaten muss reformiert werden.

Deshalb fordern wir, implantierbare Medizinprodukte schon vor dem Marktzugang genauer unter die Lupe zu nehmen und anstelle der bislang üblichen CE-Kennzeichnung für diese Produkte eine zentrale staatliche Zulassung beispielsweise durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder die Europäische Arzneimittelbehörde einzuführen.

Die derzeit von den Herstellern bei der Zulassung der Implantate vorzulegenden Studien sind überhaupt nicht ausreichend, um Auskunft über Nutzen, therapeutische Wirksamkeit und Risiken zu geben. Wir brauchen daher auch höhere Anforderungen an die Studien, die die Hersteller bei der Zulassung vorlegen müssen. Das betrifft beispielsweise die Dauer der Studien und die Anzahl der einzubeziehenden Patientinnen und Patienten. Soweit dies möglich und sinnvoll ist, müssen auch randomisierte Studien zur Voraussetzung bei der Zulassung gemacht werden.

Nötig ist zudem ein verbindliches Register für alle Implantate. Für uns ist nicht nachvollziehbar, warum sich die Bundesregierung so vehement dagegen sträubt, ein solches Register einzuführen. Die Vorteile eines solchen Registers liegen auf der Hand. Durch eine langfristige Marktbeobachtung kann schnell erkannt werden, wenn sich bei einem Produkt die Komplikationen häufen. In Verbindung mit einem wirksameren Vigilanzsystem für Medizinprodukte kann die zuständige Medizinproduktebehörde dann schnell die nötigen Konsequenzen ziehen und das Produkt vom Markt nehmen. In Schweden konnte die Revisionsrate nach Einführung eines solchen Registers nahezu halbiert werden.

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