Nationaler Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige 2014

Grußwort von Dr. Harald Terpe zum heutigen Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige.

21.07.14 –

Liebe Eltern und Angehörige, sehr geehrte Damen und Herren, 

der diesjährige Nationale Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige steht unter dem Motto „Leben retten!“. Was bedeutet dieses Motto? Warum und wie können wir das Leben von Drogenabhängigen retten? Wenn wir die Frage umdrehen und das tragische Ende in den Mittelpunkt rücken, den sogenannten „Drogentod“, dann verstehen wir das diesjährige Motto besser. Drogenabhängige sind in der Praxis und im Alltag aus ihrer Selbstwahrnehmung heraus keine Patienten, sondern Kriminelle und werden wie solche behandelt: die Polizei verfolgt sie, die Staatsanwaltschaft klagt sie an, die Gerichte verurteilen sie und im Gefängnis bekommen sie nur eine eingeschränkte ärztliche Versorgung. Zwar können Drogenabhängige im Gefängnis keine Spritzen tauschen, aber sie können illegale Drogen kaufen. In vielen Gefängnissen können sie auch keine Substitutionstherapie erhalten. Gefängnis bedeutet aus gesundheitspolitischer Perspektive eine Erhöhung des Erkrankungsrisikos. Man und frau steckt sich z.B. leichter mit Hepatitis und HIV an.

Von allen erkrankten Menschen in Deutschland, sind Drogenabhängige diejenigen, die am wenigsten als Kranke behandelt werden. In der Realität des Betäubungsmittelgesetzes werden die Abhängigen beinahe genauso hart wie Großdealer behandelt. Therapie statt Strafe ist bis heute ein bürokratisches Ungetüm, das weit entfernt von einer praxistauglichen Lösung ist. Die politische und menschenrechtliche Forderung ist einfach und klar: Drogenabhängige sind kranke Menschen und benötigen Therapie, Hilfe und Unterstützung durch ihre Familie. Der Staat muss auf jegliche Strafverfolgung von kranken Menschen verzichten. Wenn er es nicht tut, dann klagen uns weiterhin jedes Jahr 1.000 bis 2.000 Drogentote an. Eine gesundheitszentrierte Drogenpolitik, die auf die Verfolgung von Kranken verzichtet und Therapie und Beratung schnell zur Verfügung stellt kann eine Reduzierung der Drogentoten auf nahe Null erreichen. 77.300 der Abhängigen nehmen an einer Substitutionstherapie mit Methadon teil. Nur 500 Patienten nehmen an der stärker wirksamen Diamorphintherapie mit Heroin teil. Obwohl mehrere Studien den Erfolg dieses Modellprojekts eindeutig bestätigten. Würden die Anzahl dieser Plätze ausgebaut, die Zugangshürden abgebaut und die Verteilung der Praxen besser geregelt, dann würde sich die Zahl der Drogentoten deutlich absenken. Dies verhindert der Gemeinsame Bundesausschuss mit seinen unsinnigen und praxisfernen Regelungen. Beispielsweise muss vor einer Diamorphinbehandlung eine sechsmonatige Substitutionsbehandlung erfolgen. Obwohl diese Behandlung weniger wirksam ist als die Diamorphinbehandlung. Hier ist eine Überarbeitung dringend notwendig. Doch zurück zur Strafverfolgung: Mein Vorschlag ist es, konsequent die Drogenabhängigen als Patienten zu behandeln, d.h. wenn ein Arzt eine Abhängigkeit diagnostiziert, ist grundsätzlich von einer Strafverfolgung nach dem Betäubungsmittelgesetz abzusehen. Nur so können wir erreichen, dass wir diesen Gedenktag mittelfristig nicht mehr begehen müssen. Denn Drogenabhängige sterben an den gesetzlichen Rahmenbedingungen ihrer Sucht, also an der Drogenpolitik, die an diesen Gesetzen festhält.

Diese Rahmenbedingungen führen zu Todesfällen durch Hepatitis- oder HIV-Infektionen, durch Überdosierungen oder Verunreinigungen, durch Selbstmord aus Verzweiflung über die Lebenssituation oder Mischkonsum mit legalen und illegalen Ersatzdrogen. Unser Grundgesetz stellt die Würde des Menschen als ersten Grundsatz unserer Verfassung und unseres Staates in den Mittelpunkt. In einem solchen Staat kann kein legaler Raum für die Kriminalisierung von schwerkranken, abhängigen Menschen sein. Die vielen schadensminimierenden Maßnahmen müssen im Betäubungsmittelgesetz zu einer Reform führen, die eine konsequente Entkriminalisierung der abhängigen Konsumenten zum Ziel hat. In den letzten dreißig Jahren verloren jedes Jahr über 1.000 Familien eine Tochter oder einen Sohn, ohne dass übergeordnete politische Ziele erreicht worden wären. Es ist an der Zeit diesen Zynismus zu beenden und die Opfer und ihre Familien in den Mittelpunkt zu stellen. Dazu ist eine konsequente Entkriminalisierung der Abhängigen der einzige Weg. 

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Drogen & Sucht