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11.06.12 –
Die Bundesregierung hat am 15. Februar 2012 die Nationale Strategie verabschiedet. Die Drogenbeauftragte Dyckmans damals: „Die Nationale Strategie stellt die Suchtpolitik auf eine moderne und aktuelle Grundlage und nimmt sich neuer Herausforderungen an.“
Vor diesem Hintergrund hat uns in einer Kleinen Anfrage interessiert, welche Akteure die Bundesregierung eingebunden hat, ob die enthaltenen Maßnahmen und Grundsätze evaluiert wurden und ob wesentliche internationale Entwicklungen einbezogen wurden.
Grundlegendes zur Strategie
In der Antwort der Bundesregierung wird nun deutlich, dass der Drogen- und Suchtrat lediglich kurz vor Weihnachten 2011 und damit knapp acht Wochen vor der Verabschiedung der Strategie mit den Entwurf der Strategie konfrontiert wurde. Eine wesentliche Einflussnahme war sicher zu diesem Zeitpunkt weder möglich noch erwünscht. Andere zivilgesellschaftliche Akteure wurden nicht eingebunden. Auch die Länder wurden nur unzureichend eingebunden. Dabei richtet sich die Strategie ausweislich der Antwort an „alle politischen Akteure in der Drogen- und Suchtpolitik“.
Ein zielgerichtete Evaluation der Strategie ist ebenfalls nicht vorgesehen. Die Wirksamkeit der Maßnahmen bemisst die Bundesregierung an den regelmäßigen Suchtsurveys von IFT und BMG, den Drogenaffinätsstudien (Telefoninterviews) der BZgA sowie weiteren epidemiologischen Daten! Konkrete Zielindikatoren sind hingegen in der Strategie keine enthalten.
Evaluierung der Repression
Bei dem in der Strategie enthaltenen Satz „Maßnahmen und Konzepte zur Verringerung des Drogen- und Suchtmittelkonsums müssen wirksam sein“ handelt es sich nach Auskunft der Bundesregierung lediglich um eine „programmatische Äußerung“ – vermutlich auch ohne Relevanz. Denn die in der Strategie enthaltenen Repressionsansätze wurden in keiner Weise evaluiert. Die Polizeiliche Kriminalstatistik und andere Lageberichte des BKAs dienen der Bundesregierung als Gradmesser für den Erfolg der Repression! Damit werden dann natürlich andere Perspektiven sowohl in gesundheitlicher als auch menschenrechtlicher Hinsicht vollständig ausgeblendet. Allerdings müsste auch vor diesem Hintergrund die Strategie der Repression als gescheitert angesehen, denn eine wesentliche Reduktion des „Rauschgiftkonsums“ als Ziel der Repression lässt sich aus den Kriminalitätszahlen nicht ablesen.
Die Bundesregierung kann auch nicht erklären, warum weder der Report der Global Commission on Drug Policy noch andere wichtige Stellungnahmen zur internationalen Drogenpolitik in die Strategie einbezogen wurden. Sie behauptet indes, dass der Ansatz der Bundesregierung nicht im Widerspruch zu den Empfehlungen der Global Commission stehen. Das ist erstaunlich, empfiehlt die Commission doch etwa eine verstärkte Forschung zu den Wirkungen der Drogenpolitik, Modellprojekte zur gesetzlichen Regulierung zum Beispiel von Cannabis usw.
In ihrer Antwort gibt die Bundesregierung explizit zu, dass es keinen Zusammenhang zwischen der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis der Länder bei der Anwendung des BtMG und der Höhe des Drogenkonsums gibt. Bedeutet: Es spielt keine Rolle, ob beispielsweise die Eigenbedarfsmenge in den Ländern bei 15 Gramm oder 6 Gramm liegt. Die Bundesregierung zitiert zudem eine Studie der EBBD die generell einen Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und gesetzlichen Regelungen verneint. Dies wirft die Frage auf, warum dann an den bestehenden Repressionsregelungen festgehalten wird. Wenn also die Repression nachgewiesener Maßen nichts bringt, müsste verstärkt nach den negativen Folgen der Repression gefragt werden. Die Antwort auf Frage 16 deutet hingegen darauf hin, dass die Bundesregierung auch daran kein Interesse hat.
Evaluierung anderer Maßnahmen
Deutlich wird in den Antworten, dass zahlreiche verhaltenspräventive Maßnahmen im Bereich der legalen Substanzen nicht oder nur unzureichend evaluiert wurden. Das betrifft beispielsweise Selbstverpflichtungen des Handels zum Jugendschutz, sowie Kampagnen zum Alkohol- und Tabakkonsum insbesondere bei Jugendlichen. Stattdessen lehnt sie aber eine vollständige Umsetzung der Tabakrahmenkonvention in Deutschland ohne Angabe von Gründen ab.
Verbesserung der Studienlage
In einigen Bereichen wie bspw. der Glücksspiel- oder Medikamentenabhängigkeit, in denen die Bundesregierung selbst ein Forschungsdefizit festgestellt bzw. angekündigt hat, die Datenlage verbessern zu wollen, sind keine weiteren Studien geplant. Die Bundesregierung verweist gern auf bereits durchgeführte Studien, teilweise auch mit dem Hinweis, dass zunächst geprüft werden müsse, ob noch weiterer Forschungsbedarf besteht. Das gilt für den Bereich der Medikamentenabhängigkeit allgemein, die zunehmende Verordnung von Medikamenten mit Suchtpotential auf Privatrezept, den Missbrauch leistungssteigernder Mittel (Frage 31) sowie die Epidemiologie pathologischen Glücksspiels (Frage 37).
Verhältnisprävention
Die Bundesregierung hat große Hemmungen gegenüber verhältnispräventiven Maßnahmen in Bereich, in denen die Suchtmittel a) legal sind und b) eine größere Lobby im Hintergrund steht. Besonders deutlich wird dies im Bereich der Medikamenten- und der Glücksspielsucht. Befragt nach konkreten verhältnispräventiven Ansätzen bspw. im Bereich der Medikamentensucht verweist sie allgemein auf das Verordnungsverhalten von Ärzten und eine bessere Kooperation im Gesundheitswesen (Frage 29). Es sei allerdings noch nicht klar, wie und wann das angekündigte Curriculum für die Aus- und Weiterbildung von Ärzten in diesem Bereich umgesetzt werden (Frage 32). Auch die zunehmende Verordnung von abhängig machenden Medikamenten auf Privatrezept sieht die Bundesregierung nicht als problematisch an (Frage 30a). Obwohl sie in ihrer Nationalen Strategie selbst angibt, dass die Bereitschaft der Betroffenen zur Verhaltensänderung oft gering sei, beschränkt sie ihre Aktivität auf die zusätzliche Schaffung eines Themenbereichs „Medikamente“ auf den BZgA-Portalen zur Frauen- bzw. Männergesundheit, also wieder auf einen verhaltenspräventiven Ansatz (Frage 30b). Im Bereich der leistungssteigernden Mittel will sie ihre Aktivitäten ausdrücklich auf den Bereich des Kraftsportes in Fitnessstudios konzentrieren, weil hier das „höchste Missbrauchspotential“ festgestellt worden sei (Frage 30b). Woher sie diese Erkenntnis nimmt, bleibt unklar – lt. KOLOBRI-Studie des RKI ist bspw. der Anteil von Personen, die aus nichtmedizinischen Gründen Schmerz- oder Schlankheitsmittel nehmen, bedeutend höher.
Ähnlich verhalten agiert die Bundesregierung im Bereich des Automatenspiels. Auf die Frage, warum sie bei der Spielverordnungs-Novelle nur marginale Änderungen plane, die von Suchtexperten als völlig unzureichend bezeichnet werden, und ob sie diese Änderungen angesichts des starken Suchtpotentials des Automatenspiels für ausreichend halte, antwortet sie gar nicht (Frage 34). Für weitere verhältnispräventive Maßnahmen verweist sie auf die Zuständigkeit der Länder. Interessant ist dabei, dass sie die Vorgaben der SpielVO als Alternative (!) zu den Spielersperren und Eingangskontrollen in Casinos sieht (Frage 35). Nach Präventionsmaßnahmen im Hinblick auf andere Glücksspielformen befragt, kann sie ebenfalls keine konkreten Angaben machen (Frage 36). Lediglich im Bereich des illegalen Glücksspiels im Internet plant sie möglicherweise (!) eine Änderung des Geldwäschegesetzes.
Fazit
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage ist ebenso dürftig wie die Strategie der Bundesregierung insgesamt. Es wird ein weiteres Mal klar, dass die herrschende Drogenpolitik keinen gestaltenden Ansatz hat, sondern weitgehend auf die Erhaltung des Status quo setzt. Die Bundesregierung will daher auch nichts über die Wirkungen ihrer Drogenpolitik wissen und verzichtet deswegen weitgehend auf die Evaluation ihrer repressiven Maßnahmen sowie auf konkrete Zielsetzungen für ihre Strategie einschließlich der Implementierung wirksamer verhältnispräventiver Maßnahmen. Dies ist zweifellos im Interesse etwa der Tabakindustrie oder der Spielautomatenlobby. Dem selbst formulierten Ansatz, einer modernen am Menschen orientierten Drogenpolitik wird es in keiner Weise gerecht. Dazu würde nämlich gehören, der Erkenntnis, dass die Repression gescheitert ist, auch Taten folgen zu lassen.
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Eine Übersicht aller parlamentarischen Initiativen zur Drogenpolitik finden Sie hier.