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16.05.11 –
Bündnis 90 / Die Grünen Leipzig und das linXXnet Projektbüro DIE LINKE veranstalteten am 11. Mai 2011 eine Podiumsdiskussion zur Drogenpolitik in Leipzig. Anlass war eine schon länger andauernde Debatte in den Medien um Beschaffungskriminalität und die Drogenhilfe in Leipzig. Das erklärte Ziel dieser Veranstaltung war die Versachenlichung der aufgeheizten Diskussion sowie das Zusammenbringen der Verantwortlichen vor Ort. Die mit mehr als 300 Teilnehmer zeigten wie groß der Bedarf nach Informationen und Diskussion war.
Auf dem Podium saßen Sylke Lein, Suchtbeauftragte der Stadt Leipzig, Lutz Wiederanders, Sachgebietsleiter Straßensozialarbeit Leipzig, Horst Wawrzynski, Polizeipräsident der Stadt Leipzig seit Mai 2008 und die Politiker Freya-Maria Klinger, MdL Die Linke sowie Harald Terpe, MdB und drogen- und suchtpolitischer Sprecher des Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen.
Vorgegangen war eine Debatte über die Medien in denen Polizeipräsident Wawrzynski, den "Import von Beschaffungskriminalität" angeprangert hatte. Die Stadt würde "sehr viel Geld" im Bereich der Drogenhilfe ausgeben, was zu einem "Wohlfühlklima für diese Klientel" führen würde "mit der Folge, dass Drogenabhängige aus anderen Regionen, gar anderen Ländern von der Stadt angezogen, die sich nun hier wiederum täglich Geld beschaffen müssen." In seinen Vergleichen zur Kriminalität und Drogenhilfefinanzierung Leipzigs nannte er die Städte Nürnberg und München. Dabei übersah er allerdings einige wesentliche Dinge wie Unterschiede in der Finanzierungsstruktur der Drogenhilfe. Diese führt in Nürnberg zu niedrigeren direkten Zahlungen durch die Stadt, da ein Teil vom Bezirk Mittelfranken gezahlt wird. Die Gesamtausgaben für diesen Bereich in Nürnberg unterscheiden sich – anders als behauptet – kaum von Leipzig.
Harald Terpe hierzu: Ist das, was sich in den sächsischen Großstädten abspielt etwas besonderes? Bundesweit betrachtet: Nein. Die von Polizeipräsidenten genannten Städte Nürnberg und München sind besonders ausgewählte Beispiele, er hat nicht Frankfurt, Berlin oder Hamburg genannt. Das ist eine sehr selektive Auswahl. Generell gilt: Großstädte sind Anzugspunkt für Drogenuser , das hat vielfältige Gründe und Leipzig bildet mit seiner verkehrsgünstigen Lage kein Ausnahme.
Sylke Lein, Suchtbeauftragte der Stadt Leipzig, präsentiere die Aktivitäten der Stadt: "Die Drogenpolitik der Stadt Leipzig orientiert sich an bundesgesetzlichen Vorgaben. Und basiert auf den Leitlinien, welche der Stadtrat bereits im Jahr 1999 beschlossen und verabschiedet hat." Diese Leitlinien setzen auf die Säulen der deutschen Drogenpolitik: Prävention, Beratung, Schadensminimierung und Repression. Besonderen Wert legte sie auf die Tatsache, dass Drogensucht seit 1966 in Deutschland offiziell als chronische Krankheit anerkannt ist und deren Behandlung auch im Leistungsumfang der Krankenkassen enthalten ist.
In den sieben Beratungsstellen in Leipzig stellen Alkoholabhängige mit 60 Prozent den Löwenanteil der Klientel. Die Konsumenten illegalisierter Drogen stellen 36 Prozent und damit derzeit rund 600 Patienten in Leipzig, so Lein. Der Betreuungsschlüssel beträgt 1 Fachkraft auf 20000 Einwohner, der Bundesdurchschnitt liegt inzwischen bei 1:15000. Der These des Polizeipräsidenten es würden immer mehr Abhängige von Außerhalb nach Leipzig kommen, widersprach die Suchtbeauftragte. Die Zahl derer liegt bei konstant 5% und beinhaltet primär Menschen aus dem Umland von Leipzig wo schlicht keine Substitutionsbehandlugn angeboten wird.
Polizeipräsident Horst Wawrzynski unterhielt die Zuhörer mit einer Flut an Zahlen, unter anderem wiederholte einmal mehr seine Vergleich von Leipzig mit Nürnberg und München. Zudem errechnete er aus dem Tagesbedarf von 30 Euro pro Tag bei einem Abhängigen und den 1.000 bis 1.200 Klienten in der Suchthilfe einen fragwürdigen Gesamtfinanzierungsbedarf von 10 Millionen Euro pro Jahr in Leipzig.
Ein Lob für die nachfragereduziertenden Substutionsagebote der Drogenhilfe blieb hier leider aus. Anschließend forderte er eine bessere Zusammenarbeit auf Basis der Leitlinien der Stadt ein und trat als Anwalt der Bürger auf. Die Drogenhilfe habe er nie in Frage gestellt, seine Interviews führte er auf einem unkontrollierbaren Medienhype zurück. Der Frage, ob er einen Konsumraum befürworten würde, wich er aus. Diese könnten ja nicht alle Probleme lösen. Während er in Interviews das Spritzentauschprogramm der Stadt noch als zu teuer kritisierte, beschwerte er sich nun über gebrauchte Spritzen vor Kindergärten.
Die LINKE Klinger vertrat die Ansicht dass noch immer zuviel Geld in Repression investiert würde. Die Drogenhilfe inklusive Spritzentausch sei medizinisch und ethisch notwendig. Auch sie stellt klar dass es logisch sei, wenn Drogenuser die Anonymität der Stadt suchten. In einzelnen Landkreisen sei die Drogenhilfe mit einem Betreuungsschlüssel von 1:30000 kaum existent. Das Hauptproblem liegt in Sachsen bei der legalen Drogen Alkohol. Die Unterscheidung in harte und weiche Drogen Drogen ist für sie nicht zielführend. Prinzipiell müsste man auch über eine Legalisierung von Drogen mit ihren Vorteilen wie Qualitätskontrolle und Steuereinnahmen sprechen, das Ziel einer emanzipatorischen Drogenpolitik ist die Drogenmündigkeit.
Terpe stimmt hier prinzipiell zu: Man muss darüber nachdenken wie man anders mit Drogen umgeht, z.B. wie in den niederländischen Coffeeshops, mit dem Ziel eines selbstbestimmten Drogenkonsums.
Harald Terpe nannte die Verquickung von Kriminalität und Drogenhilfe ist falsch. „Ein recht aktuelles Ergebnis aus der Wissenschaft liefert uns der Modellversuch zur Heroinabgabe. Das Ergebnis aus den sieben Modellregionen ist: Die Abgabe von Diamorphin an Abhängige ist nicht nur gesundheitspolitisch sinnvoll und dringend notwendig, es macht zudem gesamtgesellschaftlich Sinn - es spart Kosten ein und mehr Hilfe wie die psychosoziale Betreuuung reduziert Beschaffungskriminalität - unabhängig davon ob die Leute clean oder "nur" sozial integriert und stabilisiert sind. “
Wiederanders widersprach dem Eindruck, der in den letzten Wochen und Monaten in den Medien verbreitet worden sei. Die Situation in Leipzig sei nicht so schlimm wie dargestellt und Drogenuser und -abhängige seien auch nette Menschen. Er, selbst seit 20 Jahre in der Sozialarbeit tätig, sieht zusammen mit seinen 30 Streetworker Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit als Ziel seiner Arbeit. Bei seinen Klienten gehe es darum, Lebenslagen zu stabilisieren und den freien Fall aufzuhalten sowie Motivation herstellen. An einer Elendsverwaltung hat niemand ein Interesse. Natürlich existiert zwischen Sozialarbeit und Polizei ein Spannungsfeld, eine gute Kooperation kann einen wesentlichen Beitrag für ein erhöhtes Sicherheitsgefühl leisten .
Harald Terpe: Unabhängig davon welche mitunter verbohrten Debatten auf Bundesebene geführt werden, die kommunale Ebene sollte gut zusammenarbeiten und sich nicht über die Medien bashen. Ein gutes Beispiel hier ist Petra Roth (CDU), die seit Jahren in Frankfurt einen pragmatischen Weg beschreitet.
Die Stimmung im Publikum war gespalten. Während einige sich mit ihren Ängsten beim Polizeipräsidenten gut aufgehoben fühlten, erklärte eine Vertreterin des Elternbeirat der betroffenen Kita, dass es zwar Ängste gäbe und "es wäre uns lieber, wenn wir das Problem woanders hätten - aber ich wehre mich dagegen, dass mit Angst Politik gemacht wird." Sie selbst hätten die Initiative ergriffen, um das Zusammenleben in den Griff zu bekommen und sagte klar: Konsumräume, ja, das würde helfen! Diese Ansicht vertrat auch Harald Terpe, der ins deutschsprachige Ausland verwies: „Die Züricher haben damit angefangen und waren sehr erfolgreich. “
Der Forderung nach der Aufnahme von Abstinenz als einziges Ziel in die Leitlinien der Stadt widersprach Gundula Barsch, Professorin für soziale Arbeit aus Merseburg: „Es gibt viele Wege in die Sucht. Deswegen braucht es auch viele Wege aus ihr Heraus raus. Abstinenz ist nur für wenige ein guter Weg. “
Auch Drogenbeauftagte Lein stellt klar: Niedrigschwellige Arbeit und Harm Reduction entsprechen den internationalen Standards. Sie helfen auch die Belastungen für den öffentlichen Raum werden gesenkt, die sinkende Zahl der Drogentote bestätigt den Erfolg dieser Maßnahmen.
Summa summarum ist mit der Veranstaltung ein guter erster Schritt die Verantwortlichen zusammen zu bringen und direkt anstatt über die Medien zu kommunizieren. Die Drogenhilfe sollte sich bemühen ihre Arbeit offensiver und transparenter darzustellen. Der Blick von der Bundesebene konnte dabei helfen, die Situation in Leipzig ein wenig nüchterner zu betrachten und hat damit auch dem Ziel der Veranstaltung gedient.
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