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14.08.12 –
Die Vorwürfe gegen die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) sowie die jüngsten Vorfälle verdeutlichen, dass eine stärkere staatliche Aufsicht im Bereich der Organspende nötig ist. Sowohl die Aufsicht als auch die Koordinierung der Organspende und die Allokation von Organen liegen derzeit allesamt nicht in Händen staatlich beaufsichtigter Einrichtungen – im Gegensatz beispielsweise zu Spanien oder Großbritannien. Insgesamt bestätigt sich der Eindruck, dass das momentane deutsche System viel zu wenig unabhängige (staatliche) Kontrolle zulässt.
Nachdem bereits im Frühjahr erhebliche Kritik an der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) wegen ihrer fragwürdigen Haltung sowohl in finanziellen wie auch in ethischen Fragen laut wurde, wird das Transplantationssystem von erheblichen Skandalen erschüttert. Die Süddeutsche Zeitung deckte auf, dass ein Transplantationschirurg in Göttingen und Regensburg gemeinsam mit mindestens einem Kollegen jahrelang Daten von Wartelistenpatienten manipuliert und diesen so zulasten anderer Schwerstkranker ein Organ verschafft hatte. Obwohl gegen den Arzt schon einmal wegen ähnlicher Manipulationen ermittelt wurde, konnte er jahrelang weitermachen – ungestört von DSO und den Gremien der Bundesärztekammer (BÄK), die die Kontrolle des Transplantationswesens in Deutschland übernommen haben.
Auf eine Schriftliche Frage des grünen Abgeordneten Harald Terpe (PDF) wurde zudem öffentlich, dass in Deutschland systematisch Organe an der Warteliste vorbei vergeben werden. Möglich macht dies eine Ausnahmeregelung in der Richtlinie der Bundesärztekammer, die die Organvergabe in Deutschland regelt. War die Ausnahme ursprünglich nur dazu gedacht, in Einzelfällen als Ultima Ratio Organe direkt vor Ort vergeben zu können, wenn diese sonst drohen zu „verfallen“, machen die Zahlen der Bundesregierung deutlich, dass dieses sogenannte beschleunigte Verfahren sich mittlerweile zu einer gängigen Praxis entwickelt hat.
Der Bundesregierung war dies spätestens seit 2009 bekannt. Damals kam eine von ihr in Auftrag gegebene Studie (IGES-Bericht, PDF) zu dem Schluss, dass dieses Verfahren erhebliche Manipulationsgefahren berge. Getan hat die Bundesregierung bislang jedoch nichts, um den vielen Missständen bei der Organisation der Organspende abzuhelfen. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr begnügt sich damit, auf die Verantwortung gerade der Gremien zu verweisen, die ihre Kontrollaufgaben bislang allenfalls sporadisch wahr genommen haben. Die Koalitionsfraktionen und auch die SPD haben sich – anders als Bündnis 90/Die Grünen – der Debatte über Reformen im Frühjahr noch strikt verweigert, als die Vorwürfe gegenüber der Deutschen Stiftung Organtranstransplantation (DSO) öffentlich wurden. Der völlig überhastete Abschluss des Transplantationsgesetzes war ihnen damals wichtiger als die Schaffung einer Struktur, die Transparenz und Kontrolle zulässt.
Die Bundesregierung muss sich endlich damit beschäftigen, inwieweit das deutsche Transplantationssystem durch Intransparenz und Kontrolldefizite Manipulationen Tür und Tor öffnet. Das gilt auch und insbesondere für die Verteilung von Spenderorganen. Überprüfenswert scheinen zum Beispiel auch das Zustandekommen und die Umsetzung der sogenannten Allokationsrichtlinien bei der BÄK. Neben der Gefahr von Schlupflöchern wie dem „beschleunigten Verfahren“ enthalten diese Richtlinien auch teilweise Regelungen, die nicht in erster Linie medizinisch-fachliche, sondern ethische oder sogar rechtliche Bedeutung haben und daher in die Hände des Gesetzgebers gehören. Wenn auch hier nicht endlich mehr Transparenz geschaffen wird, wird das deutsche Organspendesystem auf die Dauer seine Existenzgrundlage verlieren – nämlich das Vertrauen der Bevölkerung.
Kategorie
Gesundheit