Persönliche Erklärung zur namentlichen Abstimmung des Deutschen Bundestages zum Vertrag von Lissabon

Der Vertrag von Lissabon wurde heute vom Deutschen Bundestag als gewählte Vertretung der deutschen Bevölkerung mit großer Mehrheit angenommen. Trotz einiger schwerwiegender Bedenken gegen einzelne Passagen des Vertragstextes habe ich ihm insgesamt zugestimmt. Dieser Vertrag ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem Status quo. Als ein Vertrag, der von Vertretern aus 28 Staaten und allen politischen Strömungen erarbeitet wurde, ist er ein Kompromiss zwischen vielen unterschiedlichen Vorstellungen und Interessen. Für einen besseren Vertrag oder gar eine europäische Verfassung gibt es derzeit leider keine Mehrheiten.

Zu den Stärken des Vertragswerkes zählen neben dem Bekenntnis zur nachhaltigen Entwicklung und zum Klimaschutz, der Anerkennung des UN-Völkerrechtes, der Menschenrechte und der Grundrechts-Charta die Stärkung des Europäischen Parlaments als Vertretung der Wählerinnen und Wähler sowie die stärkere Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union an politischen Entscheidungen. Sie können sich nun über ein Europäisches Bürgerbegehren aktiv in europäische Politik einschalten. Zudem wertet der Vertrag die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger zur Wahl zum Europäischen Parlament auf, denn dieses kann künftig in viel mehr Bereichen mitentscheiden. Und er gibt auch den nationalen Parlamenten mehr Rechte, die sogar eine Klagemöglichkeit vor dem Europäischen Gerichtshof beinhalten, wenn das Prinzip der Subsidiarität verletzt wurde.

Der Vertrag enthält zudem Regelungen, die einem ausufernden Marktliberalismus entgegenwirken sollen. Beispielsweise legt Art. 2 Abs. 3 EUV fest, dass die EU auf „eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt“ hinwirkt und zudem soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen bekämpfen. Auch sollten soziale Gerechtigkeit und sozialer Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes gefördert werden. Mit der sozialen Querschnittsklausel müssen alle Rechtsakte künftig auf ihre Sozialverträglichkeit hin überprüft werden. Die EU-Organe sind außerdem nunmehr an Titel IV der Charta der Grundrechte, die wichtige soziale Grundrechte enthält, gebunden.

Ich befürworte auch die weitere Stärkung einer gemeinsamen europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die nach meiner Überzeugung gerade das Risiko nationaler militärischer Alleingänge und Abenteuer reduziert und die Chance eröffnet , Europas Einfluss bei nichtmilitärischen Konfliktlösungen und Krisenprävention in der internationalen Staatengemeinschaft zu verstärken. Ich bin deshalb grundsätzlich auch der Auffassung, dass sich der Bedeutungszuwachs der EU-Außenpolitik auch im Text des Vertrags von Lissabon niederschlagen sollte. Allerdings ist es zu kritisieren, dass das Europäische Parlament im gesamten Bereich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik weiterhin weitgehend ohne Einfluss bleibt. Es wird eines der wesentlichen grünen Ziele sein, bei der nächsten Vertragsänderung für mehr Beteiligungs- und Kontrollrechte für das Europäische Parlament zu streiten.

Auslandseinsätze werden auch mit dem Vertrag von Lissabon nach wie vor vom Deutschen Bundestag entschieden. Im Falle einer deutschen Beteiligung an einem EU-Einsatz müsste also der Deutsche Bundestag weiterhin zustimmen. Angriffskriege bleiben sowohl nach dem Grundgesetz wie auch nach dem Gewaltverbot der VN-Charta verboten.

Die (west-)europäischen Staaten haben sich in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt und in unterschiedlichster Form für eine engere Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich ausgesprochen. Bislang sind die Streitkräfte u.a. aufgrund unterschiedlicher technischer Standards nicht in der Lage, zusammen zu arbeiten – ein Mangel, der schrittweise zu beseitigen wäre. Die vertraglich festgelegte Einrichtung einer Rüstungsagentur ist friedenspolitisch das falsch Signal, insbesondere auch deshalb weil keine Agentur für den Bereich ziviler Konfliktlösung und Krisenprävention geplant ist. Zwar spricht der Vertrag von Lissabon gleichberechtigt von zivilen und militärischen Mitteln. Nach Auffassung der Bündnisgrünen kann eine stärkere militärische Zusammenarbeit friedenspolitisch aber nur dann Sinn machen, wenn dadurch militärische Überkapazitäten abgebaut, Streitkräfte reduziert und Verteidigungsausgaben eingespart werden.

Im krassen Widerspruch zu den Friedenszielen der EU steht der Artikel zur Verbesserung der militärischen Fähigkeiten, zu der sich die Unterzeichnerstaaten verpflichten. Die Zielsetzung, die „militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“, hat nach der Auffassung von Bündnis90/Die Grünen in einer Verfassung nichts zu suchen. Wir hätten es begrüßt hätten, wenn vor allem eine substanzielle Verbesserung der zivilen Fähigkeiten festgelegt worden wäre.

Trotz der genannten Kritikpunkte überwiegen aber die positiven Aspekte des neuen Vertrages. Mit der Zustimmung zum Vertrag verbinde ich die Erwartung, dass die EU sich zur Vorreiterin im Kampf gegen Klimawandel und für eine soziale, ökologische und wirklich friedensstiftende Staatengemeinschaft entwickeln wird.