17. Juni 1953 - Für Freiheit, Recht und Einheit

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Kollege Dr. Harald Terpe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Erinnerung an den 17. Juni erfordert von uns und auch von mir, dass wir uns zuallererst vor den Opfern verneigen. Opfer sind diejenigen, die getötet worden sind, aber es gibt auch viele Opfer, die in den Gefängnissen saßen, also Gerichtsprozesse bekommen hatten. Zu den Opfern zählt auch eine große Gruppe, die aus den Ereignissen des 17. Juni 1953 Angst mitgenommen hat. Ich weiß aus persönlichem Erleben – auch ich bin ein Nachgeborener; ich wurde ein Jahr nach 1953 geboren –, dass die Angst vor den Repressalien, die Angst vor dem Niederwalzen von Protesten in der DDR eine große Rolle gespielt hat. Diese Angst hat fortgewirkt. Zu Recht ist schon gesagt worden: Manchmal braucht es Generationen, bis solch eine Angst wieder überwunden wird. Diese Generationen hat auch die ostdeutsche Bevölkerung letztlich bis 1989 gebraucht. Wir als Nachgeborene konnten uns von dieser Angst mehr befreien als viele, die den 17. Juni als eine Niederschlagung und Unterdrückung von Freiheit und Recht in der DDR erlebt hatten.

(Beifall im ganzen Hause)

Aber wie das immer so ist: Jedes Negative hat in der Erinnerung letztlich auch etwas Positives. Man darf nicht vergessen, dass der 17. Juni 1953 am eindrucksvollsten bewiesen hat, auf welchem Lügengebäude die DDR-Führung ihren Staat gegründet hatte. Es sind ja in erster Linie die Arbeiter und Bauern gewesen – darauf ist zu Recht hingewiesen worden –, die auf die Straße gegangen sind. Diese Arbeiter und Bauern wurden nun von denen niedergewalzt, deren angebliche Ziele es waren, alles für die Arbeiter und Bauern zu tun. Mit anderen Worten: Das Lügengebäude war offensichtlich. Das hat für die DDR, also für die ostdeutsche Bevölkerung, Langzeitwirkungen gehabt, weil man von dem Augenblick an – so habe ich es zumindest erlebt – diesem Regime überhaupt kein Vertrauen mehr entgegengebracht hat. Sie haben nie wieder irgendein Vertrauen in der Bevölkerung erreichen können. Sie haben sich auch gar nicht bemüht. Wie wir wissen, sind ja auch alle danach folgenden Wahlfälschungen und dergleichen mehr niemals vertrauensbildende Maßnahmen für die Bevölkerung der DDR gewesen. Ich verneige mich heute auch vor denjenigen in Ostdeutschland, die gesagt haben: Es muss auch Leute geben, die in Ostdeutschland bleiben und den Freiheits- und Gerechtigkeitsgedanken weitertragen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

Das hat dann 1989 zu der friedlichen Revolution geführt. „Keine Gewalt“, das war eine hochpolitische Losung. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir organisiert haben, dass wir mit dieser Losung auf jeden Fall verhindern, dass es zu einem gewalttätigen Eingreifen des Staates kommt. Das ist wirklich ein großes Glück. Ich kann Iris Gleicke nur sagen: Wir haben da natürlich erhebliches Glück gehabt, dass das nicht passiert ist. Wir können alle nur dafür danken, dass es so gekommen ist.

(Beifall im ganzen Hause)

Lassen Sie mich zum Abschluss an uns, aber auch an die Zuhörer auf den Rängen appellieren, niemals zuzulassen, dass solche Geschichtsereignisse umgedeutet werden; denn das ist etwas, was die DDR eindrucksvoll gemacht hat. Sie hat es in mehreren Jahrzehnten geschafft, das nahezu in Vergessenheit zu bringen. Es ist klar: Es war für sie ja auch brisant, Arbeiter und Bauern niederzuschießen und dazu dann Stellung zu nehmen. In der geschichtlichen Erinnerung gerade der nachwachsenden DDR hat der 17. Juni 1953 nur dort eine Rolle gespielt, wo auch Familien betroffen waren. Ansonsten war er aus den Geschichtsbüchern gestrichen oder wurde als faschistischer Putsch usw. diffamiert. Wir können sagen, dass es heute wieder ähnliche Propagandaausdrücke gibt, wenn es irgendwo darum geht, Freiheitsbewegungen niederzuschlagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich glaube, wir Deutschen haben aufgrund unserer Geschichte, auch aufgrund unserer glücklichen Geschichte der letzten Jahrzehnte, eine große Verantwortung, uns für die demokratischen und rechtsstaatlichen Freiheitsbewegungen in anderen Ländern zu engagieren und diese zu unterstützen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die vollständige Rede als Video finden Sie hier.