Neue psychoaktiver Stoffe

Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Anzahl neuer psychoaktiver Substanzen NPS steigt seit Jahren. Die Substanzen werden derzeit, vor allem im Onlinehandel, als scheinbar harmlose und legale Alternativen zu klassischen Substanzen wie Cannabis oder Ecstasy angeboten. Obwohl sich abzeichnet, dass der Konsum von NPS nicht harmlos ist und zu gesundheitlichen Schäden führen kann, fehlt es bislang an einer entschlossenen Initiative der Bundesregierung über das Risiko der Stoffe aufzuklären und die Konsumentinnen und Konsumenten präventiv mit diesbezüglichen Informationen zu versorgen. Trotz fehlender Risikoanalyse und Vernachlässigung der Prävention legt die Regierung ein undifferenziertes Verbotsgesetz vor. Natürlich gilt es, die Gesundheit des Einzelnen sowie der Allgemeinheit zu schützen. Doch die vorgeschlagenen Regelungen, die dieses Ziel vermeintlich erreichen sollen, lehnen wir als wenig geeignet ab.

Die Bundesregierung ist nicht bereit und in der Lage, aus den Fehlern der derzeitigen repressiven Drogenpolitik zu lernen. Auch der uns jetzt vorliegende Gesetzentwurf spiegelt eindrücklich die naive Vorstellung, eine drogenfreie Welt errichten zu können, wider. Diese Vorstellung ist nicht nur überholt, sie ist auch nicht durchsetzbar. Das Verbot – ob Betäubungsmittelgesetz oder Stoffgruppenverbot – hält nicht vom Konsum ab. Das zeigt doch die langjährige Erfahrung mit dem Betäubungsmittelgesetz. Ich kann die Bundesregierung daher nur nachdrücklich dazu auffordern, endlich eine externe wissenschaftliche Evaluierung der Auswirkungen der Verbotspolitik für illegalisierte Betäubungsmittel zuzustimmen und dem Bundestag zeitnah einen Bericht über die Ergebnisse vorzulegen. Dies haben wir Grüne gemeinsam mit der Linken in einem überfraktionellen Antrag bereits zu Beginn der Legislaturperiode gefordert.

Der Gesetzentwurf verfehlt gleich mehrfach sein Ziel. Auch in anderen Ländern, die Stoffgruppenregelungen eingeführt haben, konnte die Nachfrage nach neuen psychoaktiven Substanzen nicht nachhaltig gesenkt werden. Das Stoffgruppenverbot kann deshalb wenig dazu beitragen, dass die gesundheitlichen Schäden infolge des Konsums von neuen psychoaktiven Substanzen nennenswert reduziert werden, im Gegenteil. Das Verbot ist vielmehr ein Katalysator für die organisierte Kriminalität. Es führt in der Konsequenz zu einem völlig unregulierten Markt, auf dem es keinen Jugend- und Verbraucherschutz gibt. Zudem werden die gesundheitlichen Risiken einer Substanz auf dem Schwarzmarkt erfahrungsgemäß größer; denn Zusammensetzung und Wirkstoffgehalt der Produkte bleiben weiter unklar. Dies reduziert nicht die gesundheitlichen Konsumrisiken für Konsumentinnen und Konsumenten, sondern erhöht sie.

Außerdem sollten Sie zur Kenntnis nehmen, dass das bestehende Drogenverbot erst den Markt für neue psychoaktive Substanzen bereitet hat. Konsumentinnen und Konsumenten suchen nicht immer nach dem Kick oder nach der nächsten neuen, stärkeren Rauscherfahrung. Selbst wenn, würde man diese Gruppe von Konsumentinnen und Konsumenten auch mit einem Stoffgruppenverbot nicht vom Konsum abhalten können. Es handelt sich aber bei dem Großteil der Konsumentinnen und Konsumenten um ein schlichtes Ausweichverhalten. Der größte Teil der Konsumentinnen und Konsumenten weicht auf diese Substanzen aus, um das Verbot illegaler Drogen, insbesondere das derzeitige Cannabis-Verbot, zu umgehen. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Konsumentinnen und Konsumenten von Räuchermischungen, in denen synthetische Cannabinoide enthalten sind, natürliches, wesentlich risikoärmeres Cannabis bevorzugen, jedoch vor der Beschaffung auf dem Schwarzmarkt, der Nachweisbarkeit der natürlichen Cannabisstoffe in Drogentests und dem Verlust des Führerscheins zurückschreckt. Durch Ihre Politik erhöhen Sie das Risiko für die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Sie doch eigentlich schützen wollen.

Das Stoffgruppenverbot wird zudem die Marktdynamik verschärfen. Der Onlinehandel, der vor allem aus Asien bedient wird, wird durch das Stoffgruppenverbot nicht eingedämmt werden können. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden haben allenfalls im Rahmen von Kooperationen mit ausländischen Behörden Handlungsmacht. Auch die Zollbehörden werden nicht in der Lage sein, sämtliche Lieferungen aus dem Ausland an Privatpersonen zu kontrollieren. Hier sind allenfalls Stichproben möglich.

Das Stoffgruppenverbot wird auch das Katz- und Mausspiel von Anbietern und Gesetzgeber nicht verhindern. Die organisierte Kriminalität wird weitere Substanzen auf den Markt bringen, die weder dem Stoffgruppenverbot noch dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen. Diese neuen Substanzen können mitunter weitaus gefährlicher als „klassische“ Substanzen sein, da über ihre Wirkung und mögliche gesundheitliche Risiken aufgrund ihrer Neuartigkeit noch weniger bekannt ist.

Wie auch schon das Betäubungsmittelrecht, so wird auch das Stoffgruppenverbot die Forschung und den Erkenntnisgewinn über neue psychoaktive Substanzen hemmen. Dieser wäre jedoch insbesondere für die medizinische Versorgung sowie Prävention dringend erforderlich. Denn erst wenn aussagekräftige Ergebnisse zum Risikopotenzial sowie Substanzanalyseverfahren zur Verfügung stehen, kann eine optimale medizinische Behandlung erfolgen. Gerade für die Behandlung in der Notaufnahme bei Menschen mit Vergiftungserscheinungen ist es wichtig, durch Analyseverfahren festzustellen, um welche Droge es sich handelt, um die entsprechende Therapie durchzuführen.

Obwohl die Bundesregierung immer betont, dass sie in ihrer Drogenpolitik die Säule der Prävention nicht vergisst, blendet sie eine Implementierung entsprechender verhaltenspräventiver Maßnahmen in ihren Gesetzentwürfen regelmäßig aus. Vielmehr untergräbt das Verbot Information und Aufklärung, da die neuen psychoaktiven Substanzen in die Illegalität gedrängt werden. Dabei ist für einen verantwortungsvollen Umgang mit neuen psychoaktiven Substanzen die Aufklärung über Konsumrisiken und Suchtgefahren unerlässlich. Glaubhafte Aufklärung trägt dazu bei, dass (potenzielle) Konsumentinnen und Konsumenten Maßnahmen der Schadensminderung kennenlernen oder sogar ganz vom Konsum absehen. Denn erst wenn ich weiß, um welchen Stoff es sich handelt, können die Risiken benannt werden und über diese aufgeklärt werden. Die Aufklärung kann auch dazu beitragen, dass potenzielle Konsumierende von der Idee oder dem Vorhaben, neue psychoaktive Substanzen einzunehmen, Abstand nehmen. Auch die Wichtigkeit der Etablierung des Drug Checkings, der sich die Bundesregierung seit Jahren in den Weg stellt, sei hier noch einmal erwähnt. Nicht nur, dass auf diese Weise neue Substanzen schneller identifiziert werden können. In der Schweiz und den Niederlanden sind die Erfahrungen mit Drug-Checking-Programmen positiv und tragen zur Schadensminderung bei. Der Gesetzentwurf enthält noch nicht einmal eine Regelung, durch die die Auswirkungen des einzuführenden Stoffgruppenverbotes überprüft werden.

Ziel einer modernen und am Menschen orientierten Drogenpolitik muss immer sein, die Schäden durch riskanten Drogenkonsum zu reduzieren. Ein regulierter Markt, der sich an dem Gefährlichkeitspotenzial einer Substanz orientiert und der verhältnispräventive sowie verhaltenspräventive Maßnahmen berücksichtigt, kann den Jugend- und Verbraucherschutz verbessern sowie deutlich mehr Spielräume für glaubwürdige Suchtprävention schaffen. Das Verbot und das Strafrecht sind hier der falsche Ansatz und tragen nicht zur Schadensminderung bei.

Darum fordern wir die Bundesregierung in unserem Entschließungsantrag auf einen Gesetzentwurf vorzulegen, der folgende Aspekte berücksichtig: Erstens sollen neue psychoaktive Substanzen auf Grundlage einer wissenschaftlichen Risikobewertung reguliert werden. Hierbei ist Rechtssicherheit zu schaffen, welcher Umgang mit neuen psychoaktiven Substanzen erlaubt ist, insbesondere in der Medizin, Wissenschaft und Forschung sowie Industrie als auch für Konsumentinnen und Konsumenten.

Zweitens müssen suchtpräventive Maßnahmen etabliert werden, um Konsumentinnen und Konsumenten über die Risiken des Konsums neuer psychoaktiver Substanzen wirksam aufzuklären. Dazu gehören Maßnahmen zur Schadensminderung wie die Einführung von Drug-Checking-Projekten sowie die Sicherstellung des Zugangs zu Hilfs- und Unterstützungsangeboten bei problematischem Konsumverhalten.

Drittens muss die Cannabis-Prohibition endlich beendet werden und ein Regulierungssystem für eine staatlich kontrollierte Abgabe von Cannabis geschaffen werden, das einen wirksamen Jugend- und Verbraucherschutz sowie glaubhafte Suchtprävention sicherstellt und hilft, den derzeitigen Schwarzmarkt auszutrocknen. Hierzu haben wir bereits mit unserem grünen Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes einen konstruktiven Vorschlag gemacht, den es nur noch zuzustimmen gilt.

Schließlich müssen die Forschungsvorhaben zu neuen psychoaktiven Substanzen gefördert werden, um den Erkenntnisgewinn über die jeweiligen Substanzen zu erhöhen, eine Bewertung des Gefährlichkeitspotenzials zu ermöglichen, Substanzanalyseverfahren zu entwickeln und zu verbessern sowie medizinische und therapeutische Leitlinien zur Behandlung von Konsumierenden im Notfall sowie bei Abhängigkeitserkrankungen zu erarbeiten.