Rede: Substitutionsbehandlung

Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vor wenigen Wochen gab es zu diesen drei Anträgen eine Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Ich habe selten erlebt, dass sich fast alle Sachverständigen so einig waren: Es muss etwas geschehen. Die rechtlichen Regelungen zur Behandlung der Heroinabhängigkeit müssen deutlich liberalisiert und an den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft angepasst werden.

Umso unverständlicher ist, dass die Koalition diese Anträge dennoch hier ablehnt. Sie nimmt damit in Kauf, dass sich die Behandlungsqualität weiter verschlechtert. Besonders verwunderlich ist die Haltung der FDP.

Noch in der vergangenen Wahlperiode – da war die FDP noch in der Opposition – habe ich unter anderem gemeinsam mit dem damaligen Kollegen Detlef Parr für eine Reform der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung gefochten. Davon ist heute ganz und gar nicht mehr die Rede. Glaubt man der FDP, ist alles palletti. Die FDP versteckt sich hinter den folgenlosen Appellen der Drogenbeauftragten für mehr Ärzte in der Substitution. Das ist wohlfeil, geht aber am eigentlichen Problem vorbei; denn es fehlt uns nicht an Ärztinnen und Ärzten mit einer suchtmedizinischen Qualifikation.

Wer heutzutage die Substitutionsbehandlung anbietet, der steht mit einem Bein im Knast, wie es ein ärztlicher Kollege mal ausgedrückt hat. Um dieses Problem zu beheben, müsste die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung, BtMVV, ihren repressiven Charakter verlieren; sie muss also geändert werden.

Es geht aber gar nicht zentral um die Ärzte, sondern darum, dass die Patientinnen und Patienten auf dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft behandelt werden, wie sie das bei anderen schweren chronischen Erkrankungen auch erwarten können.

Die Bundesärztekammer, aber auch andere Sachverständige haben darauf hingewiesen, dass zentrale Annahmen und Vorgaben der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung nicht dem aktuellen Stand der evidenzbasierten Medizin entsprechen bzw. sogar kontraproduktiv sind. Das gilt zum Beispiel für die Abstinenzforderung der BtMVV. Nur etwa 4 Prozent der Opiatabhängigen erreichen jemals die Abstinenz. Die PREMOS-Studie hat deutlich gezeigt, welche negativen Folgen diese forcierte Abstinenzorientierung für die Betroffenen hat.

Ein weiterer Punkt wurde ebenfalls in der Anhörung genannt: die Regelungen zum sogenannten Beikonsum. Sie besagen, dass Patientinnen und Patienten, die zusätzlich zu Methadon auch andere Substanzen gebrauchen, einen Behandlungsabbruch befürchten müssen. Ihren behandelnden Ärztinnen und Ärzten drohen häufig Sanktionen, wenn sie sich nicht daran halten. Dabei ist wissenschaftlich mittlerweile belegt, dass der Beikonsum häufig eine Folge zu niedriger Dosierung von Substitutionsmedikamenten oder Symptom einer Mehrfachabhängigkeit ist. Es ist also völlig abwegig und kontraproduktiv, den Betroffenen mit disziplinarischen Konsequenzen zu drohen.

In der geltenden Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung manifestiert sich ganz klar eine repressiv ausgerichtete Drogenideologie. In dieser Verordnung werden den Ärztinnen und Ärzten die Indikation und Kontraindikation der Behandlung vorgegeben. Es werden ihnen die Art der Medikation, die Dosierung und die Applikation des Arzneimittels vorgeschrieben. Es werden die Behandlungs- und Verschreibungsfrequenz, die Art der Begleitbehandlung und der Behandlungsabbruch bei Non-Compliance detailliert vom Staat bestimmt, und sogar das Behandlungsziel, die Abstinenz, schreibt die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung den Ärztinnen und Ärzten vor.

Kennen Sie irgendeine andere chronische Erkrankung, bei der der Staat derart massiv in die ärztliche Therapiefreiheit eingreift und Patienten die Heilung quasi staatlich vorschreibt?

Noch schlimmere Auswirkungen als in der Freiheit hat die herrschende Politik übrigens im Strafvollzug. Etwa 20 bis 30 Prozent der in Deutschland inhaftierten Menschen sind intravenöse Drogenkonsumenten. Dennoch bekommen nur 500 bis 700 der bis zu 15 000 infrage kommenden Inhaftierten eine entsprechende Behandlung.

Die Koalition weist darauf hin, dass Strafvollzug Ländersache ist. Richtig! Aber wer regiert denn in Bayern, dem Bundesland mit den größten Problemen? Es sind Union und FDP.

In Bayern ist die Situation besonders dramatisch. Hier ist die Behandlung nur in einer einzigen Haftanstalt möglich – und in der Regel auch nur für Inhaftierte, die eine Freiheitsstrafe von weniger als drei Monaten verbüßen. Dort herrscht mit Billigung des Justizministeriums in vielen Haftanstalten die mittelalterliche Vorstellung, Opiatabhängigkeit sei keine Krankheit und Substitution nur eine überflüssige Belohnung für Drogenkonsum.

Es ist also wie bei vielen anderen Fragen der Drogenpolitik: Die wissenschaftlichen Fakten liegen auf dem Tisch und sprechen eindeutig dafür, die geltenden rechtlichen Regelungen zu verändern und den repressiven und prohibitiven Charakter der Drogenpolitik aufzugeben.

Vor diesem Hintergrund werden wir allen drei Anträgen zustimmen.

Wir müssen endlich wegkommen von der repressiv orientierten Drogenpolitik. Ziel muss es sein, den opiatabhängigen Patientinnen und Patienten eine optimale gesundheitliche Versorgung zukommen zu lassen und ihnen so die Chance auf Linderung ihrer Abhängigkeitserkrankung zu eröffnen. Dabei helfen uns keine weltfremden Abstinenzideologien, sondern nur kooperative und patientenorientierte Versorgungsstrukturen.