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Hinter dem provokanten Titel „Musterkind auf Rezept“ verbarg sich die ernsthafte Fragestellung, welche Ursachen die in den letzten Jahren steigende Zahl von Kindern und Jugendlichen mit ADHS-Diagnose (Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Defizit-Störung) hat und ob eine medikamentöse Behandlung nicht erst dann versucht werden darf, wenn alle anderen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft sind.
Zu Beginn schilderte Dr. Myriam Menter, Vorsitzende des Selbsthilfeverbandes ADHS Deutschland e.V., die Schwierigkeiten betroffener Eltern und warb um Verständnis für solche Eltern, die eine medikamentöse Therapie nicht ablehnen. Sie forderte eine Verbesserung der Versorgungsstrukturen und wies darauf hin, dass es einen Mangel an spezialisierten Ärzten gebe und aufwendigere Therapieverfahren oft von den Krankenkassen nicht ersetzt würden.
Dr. Ingrid Schubert von der Universität Köln gab einen Überblick über die steigenden Verordnungszahlen von Methylphenidat in den letzten Jahren und wies darauf hin, dass die Steigerung verstärkt in der Gruppe der 9-14 Jährigen zu beobachten sei, während die Zahl der verordneten Tagesdosen bei jüngeren Kindern zurückging. Vermehrt könnten auch Verordnungen durch Ambulanzen beobachtet werden.
Im Anschluss wurde über die Ursachen einer ADHS-Erkrankung diskutiert. Der Kindertherapeut Wolfgang Bergmann beschrieb die sozialen Hintergründe, die eine Hyperaktivität bei Kindern auslösen können. Er sieht diese Verhaltenauffälligkeiten als eine Reaktion auf Verunsicherung, Bindungslosigkeit und fehlerhafte (Selbst-) Wahrnehmung der Kinder. Unterstützt wurde er von Prof. Dr. Marianne Leuzinger-Bohleber, stellvertretende Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts Frankfurt/M., die die Bedeutung von gesellschaftlichen Ursachen bei der Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten unterstrich. Sie warte vor einer vorschnellen medikamentösen Therapie, auch weil den behandelten Kindern dadurch die Gelegenheit genommen würde, sich seelisch ohne Hilfsmittel zu entwickeln. Sie stellte die Ergebnisse der Frankfurter Präventionsstudie vor, nach der Verhaltensauffälligkeiten, insb. Aggressivität, bei Kindern durch eine frühzeitige Intervention maßgeblich verringert werden konnten.
Unterstützung erhielt sie durch Prof. Dr. Manfred Döpfner von der Universität Köln, der den entscheidenden Einfluss von Umweltfaktoren, insb. in der Familie, auf die Entwicklung von ADHS betonte, ohne dabei eine genetische Veranlagung der Kinder außer Acht zu lassen. Er wies auf die Schwierigkeiten einer ADHS-Diagnose hin, da die Übergänge zu einem (noch) normalen kindlichen Verhalten fließend seien.
Einig waren sich alle Experten, dass noch erheblicher Forschungsbedarf hinsichtlich der Langzeitwirkungen einer medikamentösen Therapie und ihres Einflusses auf die Hirnentwicklung der Kinder und Jugendlichen besteht. Zudem forderten sie eine Verbesserung bei der Diagnostik, auch durch eine bessere Qualifizierung der Ärzte. Insbesondere aber ist der erhebliche Mangel an psycho- und sozialtherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten zu beheben, damit Eltern nicht dadurch gezwungen würden, auf eine Therapie mit Medikamenten zurückzugreifen. Dafür muss die Zahl der Kinder- und Jugendtherapeuten erhöht werden.