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Ende 2006 wurde ein Impfstoff gegen vier Subtypen des Humanen Papilloma-Virus (HPV), die für die Mehrheit der Gebärmutterhalskrebserkrankungen verantwortlich gemacht werden, durch die Europäische Kommission und damit auch in Deutschland zugelassen. Im Sommer 2007 folgte die Zulassung eines zweiten Impfstoffes. Bereits im Frühjahr 2007 - wenige Monate nach Zulassung des ersten Impfstoffes - sprach die Ständige Impfkommission eine Empfehlung zur generellen Impfung von Mädchen im Alter von 12 bis 17 Jahren aus. Damit werden die Kosten für die Impfung von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen.
Zum Zeitpunkt der Zulassung von Gardasil liefen die beiden Hauptstudien zur Wirksamkeit des Impfstoffes (FUTURE I und II) erst seit zwei Jahren und waren noch nicht abgeschlossen. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage von Bündnis 90/ Die Grünen (BT - Ds. 16/9302) begründet die Bundesregierung die vorzeitige Zulassung damit, die Bereitstellung eines „wirksamen und gut verträglichen Impfstoffes“ hätte der Bevölkerung nicht so lang vorenthalten werden sollen. Auch sie gibt an, dass es eigentlich eines Beurteilungszeitraums von mitunter mehr als 5 Jahren bedarf, um die Wirksamkeit einer Impfung richtig beurteilen zu können.
Wirksamkeit der Impfung unklar
Wie wirksam die Impfung wirklich ist, kann niemand sagen. Das Versprechen, nun eine Vielzahl von Gebärmutterhalskrebserkrankungen verhindern zu können, hat sich bislang nicht bestätigt. Bislang ging in Studien die Zahl der Schleimhautveränderungen, die die relevante Krebsvorstufe darstellen, kaum zurück. Ein Leitartikel des renommierten New England Journal of Medicine bezeichnete die Wirkung der Impfung daher als „bescheiden“.
Dies kann zum einen daran liegen, dass die Impfstoffe nicht alle HPV-Typen abdecken, aus denen Zervikalkarzinome entstehen können. Von den mehr als 20 HPV-Typen, die den weiblichen Genitaltrakt befallen können, gelten derzeit 13 – 18 Typen als krebserregend. Gardasil erfasst lediglich vier, Cerverix lediglich zwei dieser Typen. Die von beiden Impfungen erfassten HPV-Typen 16 und 18 sind nur für Minderheit aller HPV - Infektionen bei Frauen verantwortlich. Zudem konnte Typ 16 nur in 57 Prozent und Typ 18 nur in 19 Prozent aller Krebserkrankungen nachgewiesen werden. Die Ständige Impfkommission hatte bei ihrer Empfehlung nach eigenen Angaben keine Erkenntnisse darüber, wie häufig welcher HPV-Typ in Deutschland bei Frauen auftritt.
Die Dauer der Immunität und ob und wenn ja, wann Auffrischungsimpfungen notwendig sind, ist bislang ebenfalls ungeklärt.
In ihrer Antwort erklärt die Bundesregierung ebenfalls, dass nach bisheriger Studienlage ein Serotypen-Replacement, d.h. eine Ersetzung der HPV-Typen 16 und 18 durch andere krebserregende HPV-Typen aufgrund der Impfung nicht auszuschließen sei. Im Zulassungsverfahren von Gardasil hatte sich gezeigt, dass in der Gruppe der geimpften Frauen 5,5 Prozent mehr andere riskante HPV-Typen auftraten als in der Placebo-Gruppe. Gesicherte Erkenntnisse über dieses Risiko wird es aber erst in längerer Zeit geben. Einig sind sich alle Experten allerdings, dass die Impfung den regelmäßigen Gang zur Vorsorge nicht ersetzen kann.
Trotz der relativ unklaren Wirksamkeit sollen die Impfindikationen für die Impfstoffe nach Angaben der Bundesregierung noch erweitert werden, beispielsweise auf die relativ harmlosen Schleimhautveränderungen CIN 1.
Schwere Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen
Die Ständige Impfkommission hat die HPV-Impfung für alle 12 – 17jährigen Mädchen empfohlen. Das Empfehlungsalter wurde nicht nur aufgrund der Studienergebnisse festgelegt, sondern auch nach dem Durchschnittsalter von jungen Mädchen beim ersten sexuellen Kontakt, nach dem Zeitpunkt anderer Impfungen und nach der Empfänglichkeit für sexuelle Aufklärung (auch beim Frauenarzt) entschieden.
Seit Zulassung der Impfstoffe gab es weltweit in 35 Fällen den Verdacht, dass die HPV-Impfung das sog. Guillain-Barré-Syndrom, eine schwere Nervenerkrankung, auslöst. In mindestens 9 dieser Fälle konnte kein anderer Auslöser als die Impfung gefunden werden. In Deutschland gab es bislang zwei Fälle; bei beiden konnte nach Angaben der Bundesregierung die Ursache nicht abschließend ermittelt werden. Das gleiche gilt für zwei Verdachtsfälle von Akuter disseminierte Encephalomyelitis (ADEM), eine ebenfalls schwere neurologische Erkrankung. Der Hersteller von Gardasil beabsichtigt, das Guillain-Barré-Syndrom als Nebenwirkung in die Begleitinformationen zur Impfung aufnehmen.
Bislang gibt es weltweit 27 Berichte von Todesfällen im zeitlichen Zusammenhang mit HPV-Impfungen, davon 25 aus den USA. Bei den meisten Todesfällen handelt es sich um Mädchen/Frauen im Alter von 9 – 26 Jahren. Bei fünf der jungen Frauen konnte eine plausible andere Todesursache ermittelt werden, bei den anderen ist teilweise die Datenlage unklar. Im Sommer verstarb in Deutschland ein 17-jähriges Mädchen völlig unerwartet, nachdem sie eine HPV-Impfung erhalten hatte. Im Oktober 2007 wurde ein ähnlicher Fall aus Österreich berichtet. Die Ursachen für beide Todesfälle konnten bis heute nicht aufgeklärt werden.
Die von der Bundesregierung und dem Paul-Ehrlich-Institut vertretene Ansicht, bei den ungeklärten Todesfällen handele es sich um ein rein zufälliges statistisches Zusammentreffen mit der Impfung, konnte bislang nicht bestätigt werden, da für das Jahr 2007 überhaupt noch keine Daten vorliegen, wie viele ungeklärte Todesfälle es unter Mädchen dieses Alters gab.
Nach Kenntnis der Bundesregierung gibt es bislang keine herstellerunabhängige Begleitforschung zu den zugelassenen Impfstoffen. Sie prüft derzeit, beim Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin eine solche pharmakoepidemiologische Studie zu Nebenwirkungen in Auftrag zu geben.
Seit Bekanntwerden der ungeklärten Todesfälle ist die Bereitschaft von Frauen und Mädchen, sich gegen HPV impfen zu lassen, stark zurückgegangen. Nach Ansicht der Bundesregierung gibt es aber keinen Anlass, die Empfehlung der Ständigen Impfkommission für die HPV-Impfung in Frage zu stellen. Auch die EU sieht bislang keinen Anlass zur Neubewertung des Arzneimittelrisikos oder zu einer Änderung der Produktinformationen.
Wir fordern die Ständige Impfkommission auf, ihre Empfehlung zu überprüfen und bis zur Abklärung der Wirksamkeit und Risiken der HPV-Impfung auszusetzen. Grundsätzlich muss das Empfehlungsverfahren der Ständigen Impfkommission transparenter werden und sich an überprüfbaren Kriterien orientieren.
Das Geschäft mit der Angst
2007 war der HPV-Impfstoff das umsatzstärkste Arzneimittel überhaupt. Im Rundfunk, Fernsehen und auf Plakate und Broschüren wurde er von den Herstellern massiv beworben. Auch einige medizinische Fachgesellschaften setzten sich für die Impfung ein. In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage hält die Bundesregierung es für unproblematisch, wenn vermeintlich neutrale Impfkampagnen von Herstellern der Impfstoffe gesponsert werden.
Ob dieses Geld gut investiert ist, bleibt fraglich: Über 90 Prozent der HPV-Infektionen heilen problemlos aus. Durch eine regelmäßige Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen lässt sich das Krebs-Risiko – mit oder ohne Impfung – um 90 – 95 Prozent senken. In Österreich wurde die HPV-Impfung deswegen nicht in das kostenlose Kinder-Impfprogramm aufgenommen; das dortige Gesundheitsministerium unterstützt hingegen eine Intensivierung der Krebsvorsorge. Die deutsche Bundesregierung hingegen hält keine weiteren Maßnahmen für notwendig, um dem Eindruck entgegen zu wirken, dass eine HPV-Impfung die Vorsorgeuntersuchung beim Frauenarzt ersetzen kann.
Dass beide Impfungen zum „zufällig“ gleichen Preis (Einzeldosis je 159,06 €) verkauft werden, will die Bundesregierung nicht kommentieren und verweist auf die Zuständigkeit des Bundeskartellamts. Zu der Tatsache, dass der Impfstoff in Deutschland um fast 70 Prozent teurer ist als in den USA, nimmt sie ebenfalls keine Stellung.
Antwort der Bundesregierung im Wortlaut