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Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Dr. Harald Terpe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Im Grunde genommen, Kollege Heidenblut, bin ich sehr zuversichtlich. Wir stehen am Anfang der parlamentarischen Debatte. Es ist immer so, dass Gesetzentwürfe weiterentwickelt werden. Auch Mechthild Rawert hat gesagt, dass sich die SPD an der Weiterentwicklung dieses Gesetzentwurfes beteiligen wird.
(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)
Ich bin, ehrlich gesagt, in die Diskussion gegangen, um – so mache ich das sehr häufig – Überzeugungsarbeit zu leisten, in diesem Fall natürlich bei der Union. Ich dachte, ich müsste manche nur davon überzeugen, sich mit einem etwas engen Familienbild der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Aber es kommt hinzu, dass ich schon jetzt auch dahin gehend Überzeugungsarbeit leisten muss, dass es heute nicht um die Diskussion über Chancen und Risiken der IVF und auch nicht darum geht, dass diese Behandlungsform für Frauen sehr beeinträchtigend ist – von dieser Überlegung wurden wir ja auch, als es um die Kostenübernahme für Verheiratete ging, nicht in erster Linie geleitet –, sondern dass es heute um die Frage „Diskriminierung: ja oder nein?“ bzw. „Gleichbehandlung: ja oder nein?“ geht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Ich muss mich gegen noch etwas verwahren: Es geht heute auch nicht um Leihmutterschaft, Eizellspende und Eizellen-Freezing. Davon steht nichts im Gesetzentwurf. Es gibt auch keine Gesetzesinitiative, die von den Grünen in diese Richtung gestartet werden würde.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Da wollen wir doch alle nicht hin! – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Und Fremdsamenspende?)
– Es geht auch nicht um Fremdsamenspende,
(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das steht aber im Gesetzentwurf!)
obwohl die Bemerkung über Abstammung natürlich eine richtige Diskussion, die wir führen müssen, anstößt.
Schon heute gibt es, trotz aller offenen Fragen, die heterologe Insemination. Auch hier geht es nur um die Frage der Diskriminierung von Frauen, die Schwierigkeiten haben, auf natürliche Art und Weise schwanger zu werden. Es geht nicht um die Bezahlung der heterologen Insemination. Die Bezahlung richtet sich nach Art der IVF, der künstlichen Befruchtung.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Terpe, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Röspel?
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja, gern.
René Röspel (SPD):
Vielen Dank, lieber Harald. Es tut mir leid, dass ich dich unterbrechen muss, weil ich dich sonst sehr schätze.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Die Entscheidung im Jahr 2003 – tatsächlich unter -einer rot-grünen Bundesregierung –, die Zahl der Zyklen auf drei zu beschränken und das Alter auf 25 bis 40 Jahre festzusetzen,
(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das wäre dann ja Altersdiskriminierung, oder?)
hatte im Wesentlichen etwas mit der Reproduktions-medizin zu tun; ich finde, das spielt auch heute eine Rolle.
(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir ja nicht ändern!)
– Ja, aber es geht um einen wesentlichen Bestandteil dieser Diskussion, der bisher eine viel zu geringe Rolle gespielt hat.
Es hat damals eine Enquete-Kommission gegeben, die sich sehr intensiv mit der Reproduktionsmedizin -befasst hat. Sie hat sich – unter Beteiligung von Christa Nickels von den Grünen, Professor Fink und Ilja Seifert von den Linken und vielen anderen – mit der zentralen Frage befasst: Helfen wir den Frauen, die einen sehnlichen Kinderwunsch haben, eigentlich damit, wenn wir auch noch den sechsten Zyklus finanzieren?
Wir haben darüber unter dem Stichwort Baby-take-home-Rate – der Kollege Heidenblut hat es gerade genannt – diskutiert. Es ist nämlich so: Wenn man gut rechnet, kommt man zu dem Ergebnis, dass 15 Prozent aller Frauen, die sich einer künstlichen Befruchtung unterziehen, mit einem Kind nach Hause gehen. Das heißt, von sieben Frauen, die das tun, gehen sechs ohne Kind nach Hause. Das ist eine Maschinerie, in die man hineingeraten kann.
Darüber haben wir damals sehr intensiv diskutiert. Da wir gesehen haben, dass mit Ausnahme von Fällen, bei denen eine medizinische Indikation vorlag, eine gleich hohe Erfolgsrate nach biopsychosozialer Beratung zu verzeichnen war, hat es damals die Empfehlung an den Gesetzgeber gegeben, den Kreis der Anspruchsberechtigten zu beschränken – auf verheiratete 25- bis 40-Jährige mit medizinischer Indikation – und nur drei Zyklen zu bezahlen. Damals kam man zu dem Ergebnis: Wir helfen nicht, indem wir den Kreis der Anspruchsberechtigten ausweiten. Ich finde, auch dieser Punkt muss in dieser Diskussion eine Rolle spielen, weil die betroffenen Frauen im Zentrum stehen sollten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das gibt mir die Möglichkeit, außerhalb meiner Redezeit zu antworten. Dafür bin ich sehr dankbar.
Im weiteren Verlauf meiner Rede hätte ich auch noch gesagt, dass es heute auch nicht um die Erhöhung der Zahl der Zyklen auf mehr als drei geht. Das war damals eine verantwortungsvolle Entscheidung, natürlich eine Kompromissentscheidung. Was aber an der damaligen Entscheidung, auch aus heutiger Sicht, nicht richtig war, ist die Begrenzung auf verheiratete Paare.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Man hat damals nicht akzeptiert, dass es auch andere -Lebensformen mit Verantwortungsübernahme gibt. Paare, die sich bewusst für eine künstliche Befruchtung entscheiden, sind nämlich Paare, die eine Heirat als zweitrangig, die Übernahme von Verantwortung für Kinder aber als erstrangig betrachten.
Ich möchte das an meinem eigenen Beispiel deutlich machen: Ich bin zehn Jahre lang mit drei Kindern unverheiratet gewesen. Die Übernahme der Verantwortung – jedenfalls für Kinder – ist nicht an eine Heirat gebunden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Bei diesem Gesetzentwurf geht es nicht um die vielen Punkte, die aufgezählt wurden, sondern es geht für uns um die Frage: Diskriminierung oder Gleichbehandlung. Ich bin sogar froh, wenn uns jemand sagt, dass es dabei um unsere Klientel geht. Wir wollen keine Diskriminierung, sondern eine Gleichbehandlung.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Terpe, ich habe die Uhr wieder angehalten, weil es den Wunsch des Kollegen Henke gibt, eine Frage zu stellen oder eine Bemerkung zu machen.
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja.
(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Jetzt aber bitte keinen fachlichen Diskurs!)
– Ich bin darin fachlich ja nicht so gut wie Herr Henke.
Rudolf Henke (CDU/CSU):
Vielen Dank, Harald Terpe, für die Möglichkeit, eine Frage zu stellen. – Zunächst einmal kann man natürlich darüber nachdenken, was Gleichbehandlung bedeutet: Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln. Man kann aus der Ungleichheit ja nicht ableiten, dass es der Imperativ ist, die Ungleichheit gesetzgeberisch zu beseitigen.
Aber wir konzentrieren uns hier auf die heterologe Insemination. Anders geht es bei einem lesbischen Paar ja nicht. Kann es denn wirklich das Ziel sein, dass man, -bevor man die personenstandsrechtlichen und erbrecht-lichen Fragen beantwortet, die Ansprüche des Kindes darauf, seinen biologischen Vater kennenzulernen, geprüft und die Frage beantwortet hat, welche Haftung – –
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie einmal etwas zu der heutigen Praxis bei den heterologen Inseminationen!)
– Ich bin gerne bereit, eine Zwischenfrage von Herr Kollegen Beck zu meiner Zwischenfrage zu beantworten, wenn er sie beantragt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das funktioniert nicht. – Ich wollte auch gerade anmerken: Zurzeit hat der Kollege Henke überwiegend das Wort.
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: -„Überwiegend“!)
Rudolf Henke (CDU/CSU):
Vielen herzlichen Dank. – Ich komme zu meiner Frage zurück und nehme meinen Gedanken wieder auf: Natürlich kommt es aufgrund des Haftungsrechts für einen Arzt, der einen Spender dazu veranlasst, eine heterologe Insemination durch seine Spende zu ermöglichen, zu entsprechenden Folgen, wenn er es einem Kind nicht ermöglicht, zu erfahren, wer sein Vater ist, wenn es das will. Das ist übrigens auch die Antwort auf die von Herrn Beck in seiner denkbaren Zwischenfrage an mich gestellten Frage, wie das denn in der Praxis bei den heutigen heterologen Inseminationen aussieht. Sie sind nämlich auch problematisch.
Meine Frage ist daher: Müsste man nicht eher eine komplett andere Reihenfolge, was die Klärung der aufgeworfenen Fragen angeht, wählen, als jetzt diesen Gesetzentwurf einzubringen?
(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das kann man mit Ja beantworten! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum fällt Ihnen das jetzt ein?)
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Im zweiten Teil der Frage wurde die Problematik angesprochen. Wir beide wissen sehr gut, dass gerade die Ethikkommission und die Ärztekammern immer um Rat gefragt werden, wenn es um die heterologe Insemination, wie sie heute möglich ist, geht. Es wird dann gesagt: Die heterologe Insemination ist heute trotz all der Schwierigkeiten möglich.
An dieser Einschätzung ändert auch dieser Gesetzentwurf nichts. Aber wir konzentrieren uns auf die Frage: Was passiert, wenn die Frau nicht auf natürliche Weise schwanger werden kann,
(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Ja, es geht noch ums Bezahlen!)
sie also eine künstliche Befruchtung durch den Samen ihres Partners, also eine In-vitro-Fertilisation, braucht? Diese homologe und nicht die heterologe Insemination soll bezahlt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich komme noch einmal auf den Gesetzentwurf zurück, weil als Kronzeugin auch unsere geschätzte Kollegin Biggi Bender mehrfach genannt worden ist.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja, sie fehlt hier!)
Wenn ich jetzt länger Zeit hätte, um Überzeugungsarbeit zu leisten, dann würde ich sogar nachweisen können, dass das nicht im Widerspruch steht; denn das Problem „Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen“ wurde damals in einer Zeit diskutiert, in der fast alle akzeptiert hatten, dass der steuerliche Anteil bei der Finanzierung der Krankenkassen fehlt, den wir heute ja zu Recht einfordern, indem wir sagen: Es gibt versicherungsfremde Leistungen.
Heute ist allgemein akzeptiert, dass wir diesen steuerlichen Anteil regelmäßig erhöhen wollen. Ich weiß, dass die Koalition das etwas reduziert hat. In Zukunft soll das aber wieder in die umgekehrte Richtung gehen. Aus diesen Teilen ist die Finanzierung einer versicherungsfremden Leistung möglich.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Insofern könnte man sogar meine geschätzte Kollegin Biggi Bender aus der Kritik raushauen.
Ich bleibe dabei: Ich will Sie davon überzeugen, Ihr Augenmerk auf nichteheliche Lebenspartnerschaften bzw. Lebensgemeinschaften zu legen. Insofern sollte die Union ihr Familienbild überdenken. Ich bin gespannt, wie die SPD unseren Gesetzentwurf noch weiter verbessert, damit wir diesem dann mit großer Mehrheit zustimmen können.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie können sich die Rede unter folgendem Link anschauen:
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