09.11.2006: Rede zum Gewebegesetzes (1. Lesung)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll nach Ihren Worten die EU-Geweberichtlinie umgesetzt werden. Um es gleich zu Beginn klar zu sagen: Die wirklich wichti­gen Forderungen der EU-Richtlinie werden von Ihnen nicht umgesetzt.

Ziel der EU-Richtlinie sind europaweit vergleichbare hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei der Über­tragung menschlicher Gewebe. Wenn man dagegen Ih­ren Gesetzentwurf liest, gewinnt man aber den Eindruck, dass er weniger der Absicherung der in Deutschland schon bisher hohen Qualitätsstandards als vielmehr der Kommerzialisierung des Umgangs mit Geweben dienen soll: Der Entwurf unterstellt Gewebe pauschal dem Arz­neimittelgesetz. Dieser Weg wird von keinem anderen europäischen Land gewählt. Damit eröffnen Sie einen legalen Markt für den Handel mit Geweben, der sich potenziell nicht mehr an den medizinischen Bedürfnis­sen der Betroffenen, sondern vielmehr an kommerziellen Interessen orientieren wird. Damit ist der bisherige gesellschaftliche Konsens der Nichtkommerzialisierung in Gefahr.

Auch wird mit gravierenden Auswirkungen zu rech­nen sein, vor allem wenn der Vorrang der Organ- vor der Gewebespende weiterhin so halbherzig umgesetzt wird, wie es im Entwurf der Fall ist. Zwar ist ? recht ver-steckt  ? festgelegt, dass eine Gewebeübertragung eine mögliche Organtransplantation nicht beeinträchtigen darf. Dies wird aber durch keine ergänzende Regelung sichergestellt. Angesichts der Knappheit von Spender­organen in diesem Land ist es sträflich, die nicht ge­werblichen Institutionen der Organtransplantation in ei­nen Wettbewerb mit gewerblichen Gewebeeinrichtungen zu schicken, den sie nicht gewinnen können.

Zudem müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, ob Sie wirklich einen Handel mit Keimzellen und embryo­nalen Zellen wollen. Das Handelsverbot des Transplan­tationsgesetzes dient hier wohl lediglich als Feigenblatt, da aufgrund seines begrenzten Anwendungsbereichs ein solcher Handel nicht sicher verhindert werden kann. Sobald ein Markt für embryonale Gewebe und Eizellen besteht, werden sie damit ? vorbei an allen ethischen Bedenken ? zu einer Ware. Auch hier werden im Ent­wurf die Vorgaben der Richtlinie, nämlich die Verhinde­rung einer Kommerzialisierung der Organ- und Gewebe­beschaffung, nicht umgesetzt.

Auf der anderen Seite gaukeln Sie dem Bürger Si­cherheit vor. Die Gewebeeinrichtungen undifferenziert den Zulassungs- und Erlaubnisvorschriften des Arznei­mittelgesetzes zu unterstellen, führt in der Praxis zu einem Mehr an bürokratischem und finanziellem Auf­wand für diese Einrichtungen, ohne dass dieser Nachteil zu einem erkennbaren Vorteil für die Therapiesicherheit der Patienten bzw. der Qualitätssicherung führt. Im Gegenteil dürfte dies zu einer geringeren Reserve an dringend nötigen Geweben führen.

Der vorliegende Gesetzentwurf bedarf also einer grundlegenden Überarbeitung. Auch wenn die Frist für die Umsetzung der Geweberichtlinie bereits abgelaufen ist, darf nicht übereilt ein Gesetz verabschiedet werden, das dem Handel mit menschlichen Geweben Tür und Tor öffnet.