11.04.2008: Rede zur Abstimmung über die Verschiebung des Stichtages bei der embryonalen Stammzellforschung

zu Protokoll gegeben

Sehr geehrter Herr Präsident,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

die Gewinnung embryonaler Stammzellen für die Stammzellforschung erfordert die Vernichtung der Lebensfähigkeit von Embryonen. Wer eine solche Handlung begeht, verstößt in Deutschland gegen geltendes Recht, nämlich das Embryonenschutzgesetz, und macht sich – wie ich finde zu recht – strafbar. Das Gebot und Bedürfnis, menschliche Embryonen zu schützen, ergibt sich aus den gleichen ethischen Normen, die die Unantastbarkeit der Menschenwürde im ersten Artikel des Grundgesetzes verbindlich festschreiben. Für diejenigen – und zu denen zähle ich mich -, die den Embryo als eine unverwechselbar einmalige menschliche Individualität ansehen, ist die Gewinnung bzw. nutznießerische Verwendung embryonaler Stammzellen nicht nur ethisch unvertretbar, sondern auch mindestens fraglich bezüglich der Einhaltung des Grundgesetzes.

Wer einer Liberalisierung der embryonalen Stammzellforschung das Wort redet, leistet einem Umgang mit Embryonen hin zur Beliebigkeit Vorschub und unterminiert die Menschenwürde. Ein solcher Dammbruch lässt sich mitnichten mit dem Hinweis auf Forschungsfreiheit rechtfertigen. Forschung ist niemals absolut frei. Sie ist beispielsweise nicht so frei, gegen Recht und Gesetz zu verstoßen. Zur Forschung gehört für mich Verantwortung gerade im Kontext unserer deutschen historischen Erfahrung. Und denjenigen, die von Seiten der Liberalisierer mit dem Argument eines Forschungsverbotes operieren, halte ich entgegen: es wäre wünschenswert gewesen, wenn man einen Teil der Forschung in der Vergangenheit verboten hätte.

Die Befürworter und die Nutznießer der embryonalen Stammzellforschung relativieren die ethisch begründeten Normen des Lebensschutzes und der Menschenwürde mit in verschiedenen Nuancen vorgetragenen Heilsversprechen. So wurde in den vergangenen Jahren von Seiten der Stammzellforscher immer wieder die verständlichen Hoffnungen vieler Patientinnen und Patienten genährt, eines Tages mithilfe der embryonalen Stammzellforschung Therapien gegen schwere oder bislang unheilbare Krankheiten entwickeln zu können. Diese Hoffungen und Versprechen haben nicht unerheblich dazu beigetragen, 2002 überhaupt eine Stichtagsregelung gesetzlich zu verankern. Keine dieser Hoffnungen hat sich bislang auch nur im Ansatz bestätigt. Bis heute basiert keine einzige Therapie – auch nicht die mit adulten Stammzellen - auf Ergebnissen der embryonalen Stammzellforschung oder bezieht diese in klinischen Studien mit ein.

In den vergangenen Wochen und Monaten haben viele Wissenschaftler und vor allem die Deutsche Forschungsgemeinschaft auf die mögliche Bedeutung der embryonalen Stammzellforschung für den Forschungsstandort Deutschland hingewiesen. Aus meiner Sicht kann jedoch der Forschungsstandort in keinem Fall die Förderung einer ethisch und therapeutisch höchst fragwürdigen Forschung rechtfertigen. Mal abgesehen davon, dass Deutschland im Bereich der adulten Stammzellforschung im internationalen Spitzenbereich agiert, sind die bislang fehlenden Erfolge deutscher Forscher im Bereich der embryonalen Stammzellforschung nicht durch die rechtlichen Einschränkungen dieser Forschung bedingt. Vielmehr ist die Forschung an embryonalen Stammzellen selbst eine Sackgasse. Daher kann es auch meines Erachtens kein tragendes Argument für eine Rechtsänderung sein, wenn man in einem solchen offenbar aussichtslosen Forschungsfeld nicht der internationalen Spitzengruppe angehört.

Die ethische Bedeutung einer Liberalisierung der Stammzellforschung durch Stichtagsverschiebung wird von interessierter Seite gerne heruntergespielt. Man kann das bisweilen schon am Sprachgebrauch erkennen: Da wird zum Beispiel von „nicht mehr benötigtem Material“ oder „überschüssigen“ Embryonen gesprochen. Es geht bei dieser Debatte aber nicht einfach nur um einen Stichtag, sondern darum, ob wir bereit sind – und das ist der zweite Dammbruch-, eine weitere, hier grundsätzliche Verzweckung des menschlichen Körpers zuzulassen.

Dahinter verbirgt sich eine schleichende Entwicklung, die seit einigen Jahren auf vielen Gebieten der Medizin und der Forschung stattfindet – nicht nur bei den Stammzellen: Der menschliche Körper wird zum Gegenstand einer Logik, die letztlich jedes Teil des menschlichen Körpers unter einem bestimmten wissenschaftlichen und medizinischen Verwertungsinteresse betrachtet

Auch bei der Forschung mit embryonalen Stammzellen wird menschliches Leben zur Disposition gestellt, ohne dass diese Forschung diesen Menschen selbst zu gute kommt. Vielmehr sind sie  bestimmten Zwecken dienlich – vor allem ökonomischen.

Diese ökonomische, wissenschaftliche oder medizinische Verzweckung des Menschen macht auch den entscheidenden Grund dafür aus, warum alle Vergleiche mit der Abtreibungsdebatte fehlgehen.

Der werdende Mensch hat auch im Moment seines Sterbens ein Anrecht auf seine Menschenwürde. Seine Verwertung, seine Vernutzung für die ökonomischen oder wissenschaftlichen Zwecke Dritter beraubt ihn seiner Würde. In dieser Verzweckung wird der fehlende Respekt vor dem Leben deutlich. Aus ethischer Sicht sind embryonale Stammzellen eben nicht wie normales „Forschungsmaterial“ zu bewerten.

Noch deutlicher wird die Gefahr der Verzweckung menschlichen Lebens, wenn man die Entwicklungen im europäischen Ausland wie beispielsweise in Großbritannien betrachtet, wo bereits Embryonen speziell zu wissenschaftlichen Zwecken erzeugt werden. Und wo Frauen mit finanziellen Anreizen dazu gebracht werden, unter Inkaufnahme erheblicher Risiken für ihre Gesundheit oder gar ihr Leben Eizellen zu spenden. Wenn wir diese Entwicklung im europäischen Ausland betrachten, können wir nicht mehr glaubhaft vermitteln, dass unsere Regelungen zur embryonalen Stammzellforschung eine solche Entwicklung nicht fördern.

Wahrscheinlich werden die gleichen Argumente, die wir in der zurückliegenden Debatte gehört haben, von Befürwortern der embryonalen Stammzellforschung in ein paar Jahren – zum zwecke der erneuten Stichtagsverschiebung - wieder vorgebracht werden. Deshalb frage ich Sie: Wie können wir – wenn wir nicht ausschließen, dass der Stichtag abermals verschoben wird – noch glaubwürdig sagen, von Deutschland gehe kein Anreiz zur Produktion und Tötung sogenannter „überzähliger“ Embryonen aus? Wer kann sicher sagen, dass Zelllinienhersteller nicht schon heute – zwar ohne konkrete Bestellung, aber in der Hoffnung auf eine weitere Liberalisierung der Gesetzgebung in Deutschland – weitere Embryonen produzieren und töten?

Aus diesen Gründen ist es für mich als Arzt und als Bürger nicht vertretbar, einer weiteren Liberalisierung des Stammzellgesetzes und Förderung der embryonalen Stammzellforschung in Deutschland zuzustimmen.