18.01.2008: Rede zum Antrag der Linksfraktion "Wiedereinführung der Zuzahlungsbefreiung..."

Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vorab eine persönliche Ein­schätzung: Die Frage, ob sich mit Zuzahlungen mehr Ei­genverantwortung und ein verantwortungsbewussterer Umgang mit den Gesundheitsausgaben im erhofften Maße fördern lässt, lässt sich noch nicht sicher beant­worten. Ich glaube, darüber sind wir uns einig. Ziel ist tatsächlich gewesen, die Eigenverantwortung zu stärken und eine Steuerung der Gesundheitskosten einzuführen. Insofern hat sich die Richtung unserer Diskussionen über die Gesundheitspolitik in den letzten fünf Jahren verändert. Das muss man zur Kenntnis nehmen.

Wir haben die Verpflichtung, auf eine möglichst ge­rechte Ausgestaltung der Zuzahlungen zu achten. Hier gibt es sicherlich offene Fragen, beispielsweise ob nicht die ohnehin durch Krankheit belasteten Patientinnen und Patienten auch die Hauptlast der Zuzahlungen tragen. Wir müssen darüber diskutieren und uns fragen, ob wir Änderungen vornehmen müssen. Der Antrag der Linken ist aber nicht unbedingt geeignet, auf den aus unserer Sicht unbestreitbaren Zusammenhang zwischen sozia­lem Status und Gesundheit angemessen zu reagieren. Er wirft neue Gerechtigkeits- und Diskriminierungsfragen auf genauso wie die Frage nach der Finanzierung; darauf wurde schon hingewiesen. Man muss konstatieren, dass die Zuzahlungsregelungen nicht nur Nachteile, sondern auch Vorteile bringen. Danach müssen sich diejenigen, die chronisch krank sind und über geringe Mittel verfü­gen, nicht vorher einen Schein bei irgendeiner Behörde besorgen, um nachzuweisen, dass sie von der Zuzahlung befreit sind.

Wir sind uns wahrscheinlich weitgehend über die Feststellung einig, dass es einen Zusammenhang von so­zialer Ungleichheit und unterschiedlich verteilten Ge­sundheitschancen gibt. Menschen mit einem schlechte­ren sozialen Status sind häufiger und anders krank als Menschen mit hoher Bildung und einem höheren Ein­kommen. Darauf hat der Sachverständigenrat hingewie­sen. Das ist auch im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung an vielen Stellen nachzulesen. Aller­dings bleiben nach unserer Meinung zumindest aufseiten der Regierungsbank die nötigen Konsequenzen aus. Die Koalition ist bislang praktische Antworten auf die Frage, was sie gegen sozial bedingte Ungleichheiten bei den Gesundheitschancen zu tun gedenkt, schuldig geblieben.

Ich will das an zwei Beispielen deutlich machen. Ers­tes Beispiel. Wir wissen, dass gut gemachte Gesund­heitsförderung und Primärprävention vor allem bei Men­schen mit niedrigem sozialen Status ansetzen müssen. Seit Monaten wird in der Koalition ergebnislos über den Entwurf eines Präventionsgesetzes inhaltlich gestritten. Das ist keine wirksame Präventionspolitik. Ein Präven­tionsgesetz müsste über Marketingaktionen der Kran­kenkassen oder des Bundesgesundheitsministeriums hi­nausgehen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Das zweite Beispiel ist der Regelsatz für Bezieher von ALG II und Sozialhilfe. In den monatlichen Regel­leistungen ist bekanntlich ein Anteil von 4 Prozent für Gesundheitsausgaben vorgesehen. Das sind monatlich knapp 14 Euro. Man kann sich leicht ausrechnen, dass dies bei einer Bevölkerungsgruppe, die ohnehin durch einen schlechteren Gesundheitszustand gekennzeichnet ist, in vielen Fällen nicht ausreichend ist. Unsere Ant­wort darauf lautet nicht, die Regelleistungen isoliert über das Gesundheitssystem zu finanzieren. Wir fordern eine Nachbesserung bei den Regelsätzen. Das heißt, wir wol­len sie anheben. Wir haben dazu schon Anträge einge­bracht und darüber diskutiert. Ich glaube aber, dass die Koalition die Diskussion über eine Anpassung verwei­gert und dass manche das Problem noch gar nicht er­kannt haben.

Wir werden uns bei der Abstimmung über den Antrag der Linken enthalten, weil wir eine gründliche und ziel­orientierte Debatte darüber für notwendig halten, wie wir die Gesundheitschancen von Menschen mit geringen Einkommen und geringen Bildungsabschlüssen verbes­sern können. Dieser Ansatz ist anders als der der FDP. Sie befürwortet durchaus die Einführung einer Härtefall­regelung, findet aber die Begründung der Linken völlig absurd. Wir hingegen finden einiges in der Begründung, zum Beispiel den Vorschlag, über die Gesundheitschan­cen zu reden, richtig, nicht aber die Härtefallregelung.

Wir müssen erstens endlich ein Gesetz für eine wirk­same Gesundheitsprävention auf den Weg bringen. Wir müssen zweitens die Regelsätze bedarfsgerecht anpas­sen. Wir müssen drittens darüber diskutieren, ob die der­zeit genutzten Anreizinstrumente zur individuellen Steu­erung der Gesundheitsausgaben geeignet sind.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und schönes Wochenende.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf: Nein, noch nicht!)