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Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vorab eine persönliche Einschätzung: Die Frage, ob sich mit Zuzahlungen mehr Eigenverantwortung und ein verantwortungsbewussterer Umgang mit den Gesundheitsausgaben im erhofften Maße fördern lässt, lässt sich noch nicht sicher beantworten. Ich glaube, darüber sind wir uns einig. Ziel ist tatsächlich gewesen, die Eigenverantwortung zu stärken und eine Steuerung der Gesundheitskosten einzuführen. Insofern hat sich die Richtung unserer Diskussionen über die Gesundheitspolitik in den letzten fünf Jahren verändert. Das muss man zur Kenntnis nehmen.
Wir haben die Verpflichtung, auf eine möglichst gerechte Ausgestaltung der Zuzahlungen zu achten. Hier gibt es sicherlich offene Fragen, beispielsweise ob nicht die ohnehin durch Krankheit belasteten Patientinnen und Patienten auch die Hauptlast der Zuzahlungen tragen. Wir müssen darüber diskutieren und uns fragen, ob wir Änderungen vornehmen müssen. Der Antrag der Linken ist aber nicht unbedingt geeignet, auf den aus unserer Sicht unbestreitbaren Zusammenhang zwischen sozialem Status und Gesundheit angemessen zu reagieren. Er wirft neue Gerechtigkeits- und Diskriminierungsfragen auf genauso wie die Frage nach der Finanzierung; darauf wurde schon hingewiesen. Man muss konstatieren, dass die Zuzahlungsregelungen nicht nur Nachteile, sondern auch Vorteile bringen. Danach müssen sich diejenigen, die chronisch krank sind und über geringe Mittel verfügen, nicht vorher einen Schein bei irgendeiner Behörde besorgen, um nachzuweisen, dass sie von der Zuzahlung befreit sind.
Wir sind uns wahrscheinlich weitgehend über die Feststellung einig, dass es einen Zusammenhang von sozialer Ungleichheit und unterschiedlich verteilten Gesundheitschancen gibt. Menschen mit einem schlechteren sozialen Status sind häufiger und anders krank als Menschen mit hoher Bildung und einem höheren Einkommen. Darauf hat der Sachverständigenrat hingewiesen. Das ist auch im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung an vielen Stellen nachzulesen. Allerdings bleiben nach unserer Meinung zumindest aufseiten der Regierungsbank die nötigen Konsequenzen aus. Die Koalition ist bislang praktische Antworten auf die Frage, was sie gegen sozial bedingte Ungleichheiten bei den Gesundheitschancen zu tun gedenkt, schuldig geblieben.
Ich will das an zwei Beispielen deutlich machen. Erstes Beispiel. Wir wissen, dass gut gemachte Gesundheitsförderung und Primärprävention vor allem bei Menschen mit niedrigem sozialen Status ansetzen müssen. Seit Monaten wird in der Koalition ergebnislos über den Entwurf eines Präventionsgesetzes inhaltlich gestritten. Das ist keine wirksame Präventionspolitik. Ein Präventionsgesetz müsste über Marketingaktionen der Krankenkassen oder des Bundesgesundheitsministeriums hinausgehen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)
Das zweite Beispiel ist der Regelsatz für Bezieher von ALG II und Sozialhilfe. In den monatlichen Regelleistungen ist bekanntlich ein Anteil von 4 Prozent für Gesundheitsausgaben vorgesehen. Das sind monatlich knapp 14 Euro. Man kann sich leicht ausrechnen, dass dies bei einer Bevölkerungsgruppe, die ohnehin durch einen schlechteren Gesundheitszustand gekennzeichnet ist, in vielen Fällen nicht ausreichend ist. Unsere Antwort darauf lautet nicht, die Regelleistungen isoliert über das Gesundheitssystem zu finanzieren. Wir fordern eine Nachbesserung bei den Regelsätzen. Das heißt, wir wollen sie anheben. Wir haben dazu schon Anträge eingebracht und darüber diskutiert. Ich glaube aber, dass die Koalition die Diskussion über eine Anpassung verweigert und dass manche das Problem noch gar nicht erkannt haben.
Wir werden uns bei der Abstimmung über den Antrag der Linken enthalten, weil wir eine gründliche und zielorientierte Debatte darüber für notwendig halten, wie wir die Gesundheitschancen von Menschen mit geringen Einkommen und geringen Bildungsabschlüssen verbessern können. Dieser Ansatz ist anders als der der FDP. Sie befürwortet durchaus die Einführung einer Härtefallregelung, findet aber die Begründung der Linken völlig absurd. Wir hingegen finden einiges in der Begründung, zum Beispiel den Vorschlag, über die Gesundheitschancen zu reden, richtig, nicht aber die Härtefallregelung.
Wir müssen erstens endlich ein Gesetz für eine wirksame Gesundheitsprävention auf den Weg bringen. Wir müssen zweitens die Regelsätze bedarfsgerecht anpassen. Wir müssen drittens darüber diskutieren, ob die derzeit genutzten Anreizinstrumente zur individuellen Steuerung der Gesundheitsausgaben geeignet sind.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und schönes Wochenende.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf: Nein, noch nicht!)