26.06.2008: Rede zum Gesetzentwurf Stünker et al. zur Patientenverfügung

Sehr geehrte(r) Frau/Herr Präsident(in),

Sehr geehrte Damen und Herren,

Lässt sich der Wille eines Menschen, vielleicht eines unheilbar kranken Menschen, für Situationen, in denen er sich nicht mehr selbst äußern kann, im Voraus zweifelsfrei und eindeutig bestimmen? Daran kann man aber durchaus zweifeln, insbesondere wenn man die medizinische Praxis kennt. Ist der im Voraus verfügte Wille eines Betroffenen in dem Moment, in dem er nichteinwilligungsfähig ist und sich selbst nicht mehr äußern kann, wirklich Ausdruck seiner Selbstbestimmung? Oder vermittelt die im Gesetz geregelte Patientenverfügung nicht eher die Illusion eines selbstbestimmten Sterbens – mit möglicherweise tödlichem Ausgang für den Betroffenen im Falle eines Irrtums.  

Ein skeptischer Blick auf diese Verbindlichkeit von Patientenverfügungen – so wie sie im vorliegenden Gesetzentwurf festgelegt wird – wird von Teilen der Unterstützer dieses Entwurfes als ein Angriff auf die Selbstbestimmung empfunden und als Verhinderung eines humanen Sterbens. Beides ist falsch.

Es ist nämlich eine an Selbstbetrug grenzende Illusion, mit einer Patientenverfügung das eigene Sterben regeln zu können. Schon Krankheit und Tod an sich lassen sich nicht im Vorhinein regeln und verlaufen bei jedem Menschen unterschiedlich. In dem Augenblick, in dem man als Mensch einwilligungsunfähig wird, begibt man sich in die Hände anderer. Daran ändert auch eine Patientenverfügung nichts. Man ist angewiesen auf die Hilfe Anderer, und man ist angewiesen auf ihre Entscheidungen. Wenn Sie sich den vorliegenden Gesetzentwurf genauer ansehen, so liegt auch hier die Entscheidung letztendlich bei den Menschen, die für den Kranken Verantwortung übernommen haben: bei dem Bevollmächtigtem oder dem Betreuer und bei den behandelnden Ärzten. Sie müssen prüfen, ob der in der Patientenverfügung geäußerte Wille dem aktuellen Willen des Patienten entspricht, sie müssen prüfen, ob er sich auf die konkrete Situation bezieht und welche konkreten medizinischen Maßnahmen gewünscht bzw. abgelehnt werden. Eine endgültige Regelung des eigenen Sterbens ist also – anders als beispielsweise bei der Regelung von Vermögensangelegenheiten – gar nicht möglich.

Stärkt der vorliegende Gesetzentwurf das Selbstbestimmungsrecht wenigstens insofern, als dass er ungewollte lebensverlängernde Maßnahmen verhindert? Auch wenn in der Debatte oft etwas anderes suggeriert wird: Der Widerstand von Ärzten, einem verfügten Sterbewunsch Folge zu leisten, erwächst nicht in erster Linie aus einem paternalistischen Rollenverständnis und der Ansicht, dass Lebenserhaltung an sich schon ein Selbstzweck ist. Sie erwächst aus der Erkenntnis, dass das Bemühen, zum Wohle des Patienten zu handeln, Grundlage jedes Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient ist und – vielleicht zu Unrecht - aus der Befürchtung, für diesen bewussten Lebensabbruch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden. An dieser Situation ändert aber auch der vorliegende Gesetzentwurf nichts.

Wir sind uns trotz aller unterschiedlichen Ansichten zur Patientenverfügung relativ einig, wie ein menschliches Sterben aussehen sollte: In Würde, möglichst ohne Schmerzen, ohne Leiden, ohne unnötige medizinische Behandlungen, möglichst in vertrauter Umgebung und begleitet von liebgewonnenen Menschen. Aber kann eine Patientenverfügung dies wirklich garantieren? Viele der Ängste und Vorstellungen, aus denen heraus eine Patientenverfügung verfasst wird, entsprechen nicht der medizinischen Realität, die diesbezüglich besser ist als ihr Ruf. Der verfügte Wille kann sogar in einigen Fällen einem menschenwürdigen Sterben entgegenstehen. Zu verhindern wäre dies, indem man vor der Verfügung zum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen den Patienten ärztlich berät – aber auch das sieht der vorliegende Gesetzentwurf nicht vor. So wäre allerdings besser gewährleistet, dass der Verfügende wirklich weiß, was er verfügt. Das wäre also ein Schritt in Richtung echter Selbstbestimmung.

Der Gesetzentwurf verweigert sich auch der Erkenntnis, dass wir im Sterben in eine Situation kommen, die sich vom bisherigen Leben grundlegend unterscheiden kann – und die dadurch auch eine völlig andere Lebenseinstellung und Einschätzung von Behandlungsoptionen hervorbringen kann, in der das abstrakte Bild eines schnellen Sterbens ohne weitere Behandlungen hinter anderen Wünschen wie dem nach der Fürsorge und Lebenserhaltung zurücktritt. Ist in diesen Momenten die zuvor verfasste Patientenverfügung noch ein Ausdruck von Selbstbestimmung? Oder steht sie nicht vielmehr der Selbstbestimmung im Wege, weil sie das einmal Verfügte als gewollt zementiert?

Trotz intensiver Bemühungen und einer jahrelangen Vorbereitung wird der hier vorgelegte Gesetzentwurf bislang nur von rund einem Drittel der Abgeordneten unterstützt. Ich frage mich, ob das nicht auch daran liegt, dass dieser Entwurf ein gewisses Unbehagen auslöst.

Die Vorstellung, das eigene Sterben im Voraus zu regeln, Forderungen aufzustellen, die Angehörige, Pflegepersonal und behandelnde Ärzte dann unbedingt zu befolgen haben, all das atmet auch ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber diesem fürsorglichen und mitmenschlichen Handeln Anderer. Das ist meines Erachtens der falsche Weg. Für mich bleibt die Fürsorge und Verantwortung der Menschen füreinander keine Bevormundung, sondern ein Grundprinzip menschlichen Zusammenlebens.