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Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist verständlich, dass sich Eltern gesunde Kinder ohne eine Erbkrankheit wünschen, ihnen Leid ersparen möchten. Dieser Wunsch wird immer wieder als der zentrale Grund angeführt, die PID auch in Deutschland zuzulassen, häufig ohne zu hinterfragen, ob sich die Verheißung erfüllt. So verständlich dieser Wunsch ist: Taugt er auch als alleiniger Maßstab unserer heutigen Entscheidung? Um es anders auszudrücken: Heiligt der Zweck die Mittel?
Die Zulassung der PID im Sinne von Frau Flach und anderen bedeutet für mich mindestens eine Relativierung von Normen unseres Grundgesetzes. Sie steht im Widerspruch zum Gendiagnostik- und Embryonenschutzgesetz. Es bedarf also schwerwiegender Argumente, um einen derartigen Grundwerteumsturz zu rechtfertigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich einige Argumente aus ethischer und medizinischer Sicht wägen. Das von Befürwortern der PID-Zulassung immer wieder vorgetragene Argument, die PID könne Erkrankungen und Behinderungen vermeiden, führt in die Irre; Wohl aber soll die PID zur Vermeidung von Menschen mit bestimmten Behinderungen und Erkrankungen genutzt werden, also zur Vermeidung bestimmter Menschen an sich. Das wäre ein Paradigmenwechsel, eine andere Dimension. Auslese würde dann zur gesetzlich-gesellschaftlichen Norm.
Darüber hinaus bestünde die Gefahr, einen Menschen verstärkt auf seine Erkrankung zu reduzieren. Bei der Entscheidung, ob ein Kind gewünscht ist oder nicht, drohte die Erkrankung oder Behinderung zum ausschlaggebenden Maßstab zu werden. Dabei geriete vollkommen außer Acht, dass ein Mensch mehr ist als seine genetischen Anlagen, dass er neben einer Erkrankung viele andere Eigenschaften und Talente besitzt, die sein Leben für ihn lebenswert machen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE))
Nimmt man den vorgeschlagenen Anwendungsbereich der PID als Grundlage, wären Menschen wie Gottlieb Planck, der Vater unseres Bürgerlichen Gesetzbuches, oder der Schauspieler Richard Burton vermutlich ebenso wenig geboren worden wie die Musiker Paganini und Rachmaninoff. Denken wir bei unserer Entscheidung daran!
Die Möglichkeiten, Erbkrankheiten medizinisch zu behandeln, entwickeln sich ständig fort. Für die meisten Erkrankungen stehen in westeuropäischen Ländern mittlerweile gute Therapie- und Hilfsangebote zur Verfügung, sodass viele der Betroffenen zumindest das Erwachsenenalter erreichen. Bei mehr und mehr Erkrankungen unterscheidet sich die Lebenserwartung nicht mehr von der gesunder Menschen. Es stimmt einfach nicht, dass die PID im Sinne von Frau Flach und anderen nur in aussichtslosen und mit viel Leid verbundenen Fällen angewandt werden soll.
Aber ließe sich nicht die Zahl leidvoller, bei einigen Frauen im Rahmen von natürlichen Schwangerschaften gehäuft auftretender Fehl- und Totgeburten reduzieren, wie Kollege Hintze und auch Frau Flach mit Verve argumentieren? Das schon, nur mit dem Nachteil, dass die für die PID notwendige künstliche Befruchtung die Frau der Tortur einer hormonellen Stimulation aussetzt undsich die Chance auf ein gesundes Kind womöglich deutlich verringert; das ist in einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages nachzulesen.
Auch im Hinblick auf die meisten Erbleiden dürfte sich die Chance auf ein gesundes Kind eher verringern, würden sich die Paare für eine PID entscheiden. Das ist ein Fakt, der von der Flach-Gruppe offenbar verschleiert wird. Das liegt darin begründet, dass von einer Erbkrankheit bedrohte Kinder zumeist auf natürlichem Weg gezeugt, die Frauen also spontan schwanger werden.
Ich will nochmals betonen: In der heutigen Debatte geht es nicht um unfruchtbare Paare, sondern um Frauen, die sich wegen der PID einer quälenden, schlimmstenfalls lebensbedrohlichen, in mehr als 80 Prozent der Fälle erfolglosen künstlichen Befruchtung unterziehen müssten.
Wie ist es aber mit dem Argument der Spätabtreibung? Die Vorstellung, durch die PID Spätabbrüche zu verhindern, geht fehl. Viele der Störungen, die Anlass für einen Spätabbruch sein können, werden mittels der PID überhaupt nicht diagnostiziert. PID und Pränataldiagnostik stehen also nicht in einem Entweder-oder-Verhältnis, sondern addieren sich. Es gibt bislang keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass durch die PID die Raten von Spätabbrüchen und Fehlgeburten signifikant gesenkt werden konnten.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Meine Abwägung zeigt, dass es sehr gute rationale Gründe gibt, die Zulassung der PID abzulehnen. Dazu möchte ich auch Sie ermutigen. Die Gründe stützen sich, wie gezeigt, auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Den noch Unentschlossenen kann ich nur empfehlen, sich diesen Erkenntnissen nicht zu verschließen, damit wir die betroffenen Paare nicht einer Behandlung aussetzen, die ihr Leid zumeist nicht mildert, unsere Gesellschaft aber in schwere ethische Konflikte stößt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)