BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mecklenburg-Vorpommern

Rede zur Aktuellen Stunde: Zusatzbeiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung - mehr Netto vom Brutto?

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über die Zusatzbeiträge. Einige Krankenkas­sen haben in dieser Woche angekündigt, sie notgedrun­gen zu erheben. Jetzt schallt es plötzlich aus Regierungs­kreisen und aus dem Kanzleramt: Abzocke! Haltet den Dieb!

Es ist doch so: Die Zusatzbeiträge waren politisch ge­wollt und stehen deshalb im Gesetz. Im Übrigen sind diese Zusatzbeiträge auch von der Kanzlerin und von Frau Ministerin Aigner beschlossen worden. Ich sage: Der Versuch, anderen die Schuld zuzuschieben, ist schä­big und scheinheilig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Union hat die Tatsache, dass Zusatzbeiträge vorge­sehen wurden, schließlich als Einstieg in die Kopfpau­schale gefeiert.Jetzt schieben Sie den Krankenkassen den Schwarzen Peter zu.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Haben Sie zuge­hört?)

Sie sind doch für die Unterdeckung des Fonds mitver­antwortlich. Mit dem Haushalt für dieses Jahr bürden Sie den Kassen sogar weitere Defizite auf; denn die von Ih­nen kalkulierten krisenbedingten Einnahmeausfälle wer­den nur zu etwa 80 Prozent mit Steuermitteln ausgegli­chen. Das heißt, es entsteht ein weiteres Defizit von 600 bis 700 Millionen Euro. Das ist eine große Zahl; es wurde von Ihnen verursacht.

Sie sind offensichtlich nicht bereit, offen zu Ihren ei­genen politischen Entscheidungen zu stehen.

(Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Na klar!)

Man kann also sagen: kein Schneid. Die Glaubwürdig­keit der Politik kann dadurch nur Schaden nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die von Ihnen ermöglichten Zusatzbeiträge werden Bürgerinnen und Bürger mit geringen Einkommen be­sonders stark belasten. Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen. Der geringverdienende Wachmann in Schwerin mit einem Verdienst von weniger als 800 Euro muss mehr als 1 Prozent seines Einkommens für den Zusatz­beitrag aufwenden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Der kann sich
sofort ummelden!)

Die Überforderungsklausel funktioniert also ausgerech­net bei den Menschen nicht, die besonders darauf ange­wiesen sind. Glauben Sie mir: Geringverdiener gibt es nicht nur in Schwerin.

Wer allerdings über ein ausreichend hohes Einkom­men verfügt, kann neben dem Krankenversicherungsbei­trag auch den Zusatzbeitrag von der Steuer absetzen. Hier geht es um eine wirklich wichtige steuerpolitische Frage, mit der sich auch die FDP beschäftigen muss. So muss der verheiratete Ingenieur aus Sindelfingen mit ei­nem jährlichen Bruttoeinkommen von beispielsweise 60 000 Euro letztlich einen Zusatzbeitrag von monatlich nur 5,50 Euro bezahlen. Die verheiratete Kassiererin in einem Supermarkt in Duisburg bezahlt den vollen Zu­satzbeitrag von 8 Euro. Damit wird doch das Solidar­prinzip auf den Kopf gestellt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Der arbeitslose Werftarbeiter aus Rostock zum Bei­spiel soll den Zusatzbeitrag von 8 Euro aus eigener Ta­sche bezahlen; Hilfe von der Arbeitsagentur ist nicht in Aussicht.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Er kann dann ja die Kasse wechseln!)

– Ich komme darauf zu sprechen: Die Bundesregierung schlägt nun den Langzeitarbeitslosen vor, sie könnten zu einer Krankenkasse ohne Zusatzbeitrag wechseln. Ich halte das für zynisch; denn es ist nach Insidermeinung schon heute absehbar, dass spätestens im nächsten Jahr viel mehr Kassen von der Erhebung eines Zusatzbeitrags Gebrauch machen werden.

Noch ein Wort zur FDP. Die Krokodilstränen, die die FDP und der Gesundheitsminister angesichts des Zusatz­beitrages vergießen, sind für meine Begriffe der Gipfel der Heuchelei; denn die Zusatzbeiträge sind doch nur der Einstieg,

(Ulrike Flach [FDP]: Das glauben Sie, weil Sie sich mit dem System nicht auseinandersetzen!)

ein Vorgeschmack auf die Kopfpauschale und andere ge­sundheitspolitische Pläne, die besonders die Menschen mit geringem Einkommen treffen werden. Da nützt es nichts, immer wieder zu sagen: Wir organisieren im Be­reich der niedrigen Einkommen einen Sozialausgleich.

(Ulrike Flach [FDP]: Genau das bringt es! – Heinz Lanfermann [FDP]: Genau das zieht ja in den Fällen! Milliardenausgleich heißt sozia­ler Ausgleich! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steu­erlüge! Einen Ausgleich wird es doch gar nicht geben!)

– Ja, ja. Ich sage Ihnen: In der Summe werden viele Bür­gerinnen und Bürger deutlich mehr für Gesundheit zah­len müssen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die können die Kasse wechseln! Begreifen Sie es doch ein­mal!)

Anders als vor der Wahl von Union und FDP vollmundig angekündigt, werden die Menschen – vielleicht abgese­hen von Hotelbesitzern, Steuerberatern und anderen Gut­betuchten – netto weniger haben als bisher.

Ihre mit Glanz in den Augen beschworene christlich-liberale Koalition läuft Gefahr, die elementarsten christ­lichen Werte auf den Kopf zu stellen, nach dem Motto: Nehmet den Armen und gebet den Reichen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich sage: Nicht mit uns Bündnisgrünen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch ein Quatsch, was Sie da sagen!)

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